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V. Studien
Nie dicser Fuuqus den Sloff hinwirft und
<n seiner rohen Gciualt luirkcn läßt als ^toff;
und iueil nun die Leute beim Lesen eine Wir<
sich zu haben; aber eine Einrichtung ,uirtt auch.
Na ist teiue Aerbindu,!g der Teile, keine strenge
Motivierung der Leidenschaften, und weil eo in
der Natur Wirtuugcn gibt, deren Ursachen sich
oft nicht nachweisen lassen, so glaubt er, es
ginge auch in der Kunst fo, indes die >lnns!
gerade darin besteht, dasjenige, was in der
Natur als unznsammcnhäugcude Teile erscheint,
zu verbinden als ein Ganzes, Naher bewegt er
sich auch so gern in der Iauberwelt, weil bier
eiu, das Verschiedenartigste leicht verbindendes
Gefülil des Wunderbare» in der Vrnst des Lesers
dem Nichter die Mühe des Vellnüpfeus am besten
erspart, Nur wo die Natur selbst schon pm'tisch
Vorivelt herüberkliugt, Ivird er durch Aneignung
dieser Naturpoesic, voctiicb. Überhaupt hat cr
nie unmittelbar aus der Natur geschöpft, sou-
deru inimer nnr fremde Äehandlnng der '.'caüü
nachgeahint, ^ein Name wird noch vor seinem
Leben aufhören, Tas wird mir vorzüglich deut-
lich bei Lesung seines Alboin,
Chamiffo,
Wie hat mir dieser Peter Tchlemihl von Eha>
inisso gefalle,!, als ich ihn vor Jahren das erste»
mal las. Ich habe ihn jcht wieder in der Haud
und lann uicht weiter lesen. Ist das Nnch wirk-
lich, bei einer nngezweifelt sehr gnten Grund-
idee, schlecht gemacht (wie fast scheint), oder ist
meine Pyautasie so trocken geworden?
liberbnnpt muß dieser Chamisso jeht für
einen nambafte» Tichtcr zählen, Lin guter
Mensch ist er N'cnigstc,is, wie ich weiß, nnd ein
poetischer dazu,
tische It>ee beim Luzicm f»^xi,'o/!N! ^/u). daß der
Schatten des Menschen ihn in der Unterwelt
über sciue Vergehen anklagt, Ner >leim zu
Chainissos Peter Tchlemihl liegt wohl in diesem
lnzianischen Tialog,
Öhlenschläger.
Icb habe 57ehlenschlägers ucucsteZ Trauer«
spiel hagbarth und Eigue im Manuskript
geleseu, Es I,at mich entzückt. Niese Gesondert«
heit, dieses individuelle hervortreten der Cha-
raktere, die Heiterkeit, mit der selbst die Miß-
töne des Schmerzes in der allgemeinen Har-
monie des Ganzen zerfließen, ist einzig, und
wenn mau !?ebleiischlägern persönlich lennt,
glaubt mau immerwalnend sein großes helles
blaues Auge wie ciu anoglcicheudcs Ang/ Gottes
über de,n Ganzen schweben zu scheu. Mit alle« dem scheint mir der Eindruck dieses Trauer,
spieles, wie aller dramatischen .^>er!e Ochlen.
schlagers überhaupt, mehr ein all^iüem pae»
tis6)er als ein eigentlich dranialisäier zu sein,
2ie habe» durchaus etivas ^alla^eiiinasi.gec' und
versiereu hänfiq zn selir nnf dem schr.>anlenden
Voden der Phautafie, Ich kann mir du, »
Unterschied selbst nicht recht klar machen M'.'l'
z, V, in hagl'artli nnd Signe wird ersterer ge>
fangen, Er zerreißt die Äande, di^ inan ilini
anlegt, und die Königin kommt anf o,n »^>e
danten, ihn mit einer von Tignes Locken zu
binden, ds gei,l,,el)t, und hagbarth preist ,'/
bnnden fein i',,mt. Tas ist eine ,nis;erst lieb»
liche Idee^ aber, ,oic mir dünkt, bloß für die
Ballade, nicht auch fürs Nrama, Nur iu dem
Iialb träumenden Nachempfinden einer Vallade
kann dieser Zng luirken, >vo >vir uns von dein,
was geschieht, kein deutliches Äild machen, wo
Tehen, Empfinden, Vorstelle» nnd Tenlen cU'ig
i,«einander sließen, >,nd das Bild, das vor uns
schwebt, weniger eiu Werk der Anschauung als
ein Produkt aller Geinütslräfte zusammen ,'.,'
noiuinen ist, Veini Lesen des Drama hingegen
l^ uoin Zufchaner versteht sich'Z ohnehin) luollcn
wir ciu iörpelliigendes Bild vor uns haben;
eine eigenlliche Anschnnnng (>vcnn anch u»r
der Phautasic), fcharf vou allem ucbcu sich ab>
geschnitten, — Wendet man das auf jenes Nci»
spiel an, so zeigt jich, daß das Vinde» n,it der
Locke in der Äallnde unvergleichliche Will>i,,g
tue, weil wir hier das Bild nur halb außer
Wer hat noch tciue Locke vou der Geliebten emp-
fangen? Wie wert war sie uns! Wie haben wir
sie auf dem Vufen getragen, geküßt! Tas fällt
nns alles dabei ciu, und wir find entzückt. Aber
im Nrama! Eine Locke ist uus für die Än°
Ichannng ewig ein Aüschel Haare, nnd ein Hanr-
Man versuche es einmal und male sich das Vilo
einem Nrama einen Liebhaber aufzuführen halte,
der ein Andenlen feiner Geliebten an den Mund
drückt, was würde er für dieses Andenlcn lieber
wählen, einen Ring oder eine Locke? Ganz ge»
wiß das erstere; und doch ist uns eine Locte,
daran! Ja wohl für den Geliebten, aber auch
»och in demselben Stücke vor, hagbarth nimmt
Abschied, pslückt cin Watt von Eignes Kranz?
und steckt cs in den Vusen, Gut in der Ballade,
da ist eiu Blatt zarter, schöner als der Kranz
selbst. Aber im Trama, Hier muß es offenbar
halb formloses Blatt, — Ich glaube recht zu
haben, obschon ich mirs selbst uicht recht ver-
deutlichen kann.
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Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Volume II
- Title
- Grillparzers sämtliche Werke
- Subtitle
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Volume
- II
- Editor
- Rudolf von Gottschall
- Publisher
- Hansa-Verlag
- Location
- Hamburg
- Date
- 1906
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.2 x 15.9 cm
- Pages
- 552
- Keywords
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Categories
- Weiteres Belletristik