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330 V. Studien,
da? Lebendige desselben aus, unterscheiden das
Alle? dies zugegeben, wird man von dein
dramatischen Dichter, alle andern poetischen
Qnalitätcn eingerechnet, außerdem noch ix be^
sonders Hcroorste6)endcm Grade folgende Eigen»
jcl,aiten fordern:
Tcharscn, sichtenden Verstand zur Motivi-
ruug und Begründung,
Bildliche Phantasie: sie erfindet u»d
stellt dar.
Warmes, richtiges Gefühl,
Endlich Emftf induug, im Verstände der
Maler geuommcu, >uo es den Sinn für die Ab-
stufungen und das Verfließende in den Zu-
fälligkeiten der Natnrtypen bedenlet,
gegenhalt der deutsche» Naturanlage zu er-
inittcl'i suchen, welche von diesen Vigenschastcn
den Nationnlvorzügen entsprechen, u»d welche,
im minderen Maße vorhanden, dem Gelingen
dramatischer Komposition schon von vornherein
störend im Wege stehen.
Es wurde sich vielleicht zeigen, daß der
deutsche Verstand seine Stärke mehr im Vor
arbeiten für die Zwecke der Vernunft zeige, als
in rein analntischcr Vrauchbarleit für die ''Auf-
gaben des Wirtlichen, daß die Abweisung des
gemeinen Meiischeiiverstandes von seilen der
dänischen Phüosuphic ihre Wirkungen milunter
weiter erstrecke, als auf jene abstrakten Höhen-
mideren Vorzüge, unter deutschen Literaturen
vielleicht seltener gefunden werde, als irgend
anderswo,
Die deutsche Phantasie könnte man beschul-
digen, gar zu gern ins Weite zn gehen nnd da«
dnrch unbildlich zu werdeu. Je höher diese >Nast
fich versteigt, um so nebelhafter werden ihre Ge-
bilde, bis sie endlich zu blassen Schcmatcn ent-
schwinden, die den Gedanken wohl unterstützend
liegleiten, aber nicht mehr vcrsinnlichen, nicht
darstellen, ° Der Wert der Phantasie für die
Kunst liegt in ihrer Begrenzung, welche die
Gestalt ist, Tie deutsche, Phantasie liebt, ihre
Gefühl? zu werfen, was in der lhrischen Poesie
uft hinreicht: die epische, besonders aber die
dramatische Poesie fordert bestimmte Gestalten
»ach auswärts, die selbständig für fich da-
stehen und keiner Nachhilfe von feiten des Ge-
mütes bedürfen, Das deutsche Gefühl sei i„
wird am besten in Verbindung mit dem folgen-
den Absätze ausgesprochen.
Dieser begreift die Empfindung in dem
oben angedeuteten Sinne, hier liegt vielleicht
die poetische Hauptschwäche der Deutschen, was
uni fo trauriger ist, da das Geheimnis der Kom-
position damit allernächst zusammenhängt. Ge-
wohnt, von fchnrfbestlmmten Begriffen auszu- gehen, verlieren sie nur ;u >>'>chl den 3a!t sur
di^ ^uiaIl,>i!Vi!>'n dec- ^'!,','!',d:,i>'!! ?a nun -,u
gleich ihr »'>efül,l warm und wahr ist, au wachen
Eigenschasten sie sich zu versiiudigru glaubten,
abgehen ließen, so werden nni. zu bausig die
verschiedenen Figuren, ihre Erlrönissi,
uuugl'u, Gefühle »nd deren Anßernngen fo haar-
scharf nnd nng^schwächt aneinandergefügt, daß
man dabei an die ssnrteumalerei uud, u^im ^
gnt geht, an die unbchilflichen Uranfänge der
bilde,,den Kunst erinnert wird, die noch leine
Ahnnng davon hat, daß die schönsten Elu-,^1'
Iieileu zusammen ein schlechtes, Vild machen
tanchendc macht seine Wirkung geltend, oline
auf den Eindruck eines Vorher oder Nmlcher
Nüclsicht zu nehme»! Licht snmnielude uud
sparende Gegensätze werden al? ^firltinncherei
verworfen, au Nuhepunlte znr Lrleislüelüng dor
Auffassung isl »ich! zu denken, nnd so r^Ilt druu
die ganze ,"ompoj,lion (!) als ein uneulivilr-
barev l^haos belästigender Schöuheilen u,n ihre
eigene Achse, uud der Leser (denn bis znm Zu-
schauer gelangt derlei selten) weiß sich mcht
zu besinnen und >!rast zu sammeln, wo ihm denn
teiue Ahnung beikommt, daß, wenn er fich nnn
orientiert hat nnd fortfährt, er kein Drama
mehr mitlcbt, sondern ein Buch liest, Tie Deut-
schen können nicht Imnpouieren, Was in Frank-
reich der letzte Skribler (bei allen Mängeln des
^ulnill^! taun, ist in Deutschland höchstens die
Gabe einzelner. So war es aber nicht immer.
Unsere großen Dichter verstanden zu kompo-
nieren, und es gab eine Zeit, wo es auch die
mittelmäßigen tonnten. Was hat also in
ncnerer Zeit die Dentfchcn für die Anforde»
gemacht? Tas sei der Inhalt des zweiten Teils
meiner Predigt.
Was für Erscheinungen haben in
Deutschland während der neuen und
neuesten Zeit Platz gegriffen, nm das
Gelingen dramatifcher Komposil i i'u ,>n
noch mehr zu erschweren, als dies be-
reits früher der Fal l war?
Die hierher gehörigen Llscheinnngen lassen
sich, so mannigfach sie sind, vielleicht auf
folgende beide hanptpuutte bringen: Miß-
brauch der Gelehrsamkeit und Mißachtung der
Rechte des Publikums, Die Gelehrsamkeit, oder,
menschlichen Lrkcnncns, ja Vollbringens ist, hat
doch auch mitunter hemmenden Einfluß, uud
dieser äußerte sich in bezng auf unsern Gegen-
stand :
1 In Gestalt der Ideologie,
Die deutsche Philosophie hatte kaum durch
ih'^'n ersten Ausbildungsformen Bestand uud
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Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Volume II
- Title
- Grillparzers sämtliche Werke
- Subtitle
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Volume
- II
- Editor
- Rudolf von Gottschall
- Publisher
- Hansa-Verlag
- Location
- Hamburg
- Date
- 1906
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.2 x 15.9 cm
- Pages
- 552
- Keywords
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Categories
- Weiteres Belletristik