Page - 343 - in Grillparzers sämtliche Werke - Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Volume II
Image of the Page - 343 -
Text of the Page - 343 -
Zur Ästhctil und Puclik. 34
dadurch, daß sie trivial wird (das geschah eher
in früheren Zeiten), sondern gerade, wenn sie
sich erhebt, Ihre höchste Erhebmig ist ninulich
bis zum Gedanken, indes nichts poetisch ist als
die Lmpfiuduug,
Diese neuere Lyrik ist lein Flnß, in dem
nian schwimmen kann; sie ist ein Weiher, in
dem sich zwar mich Tonne und Sterne spiegeln,
der aber dnrchrankt Uc>» Wasserpflanzen ist,
dnrchstreckt von Gedankenstämmen, besnndet mit
^icdrcschlag aller Art, so daß es ohne Waten
nicht abgeht. Man taun darin allerdings noch
baden, aber schwimmen nicht. Und es schwimmt
sich so erquicklich in Gottes freier Luft!
Nie älteren lyrischen Nichter der Teutschen
unterscheiden sich von den neueren besonders
darin- jenen war das lyrische Ganze das Höchste,
lim die Kontinuität des schwellenden Zuges nicht
zu unterbrechen, nahmen fie es mitunter mit dem
Gedankenreichtum nicht zu gcuau, Ner Gedanke
musile fich dem Ausdruck fügen. Nie Neueren
die Linkleidnng, Ausdruck uud Gedanken follc,,
aber zugleich geboreu werden; wenigstens darf
Nie Novelle ist das erste Herabncigc» der
Poefie znr Prosa; der Nonian das .hinaufsteigen
der Prosa zur Poesie, Jede gute Novelle kann
ausgeführtes poetisches Sujet; ein verfisizicrter
Noman wäre ein Unding, Naher im Roman
Novelle positiv auftretend, so daß in erstere,u
die Ursachen vorherrschen, in zweiter die Wir-
kungen, Ner Ilomau psychologisch, die Novelle
psychopathisch; der Noman, wie schon Goethe be
merkt hat, retardierend, die Novelle fort-
Nas Heer der deutschen Poesie hat schwere
schwere ist Mann und Noß dichtgcpanzert, nu°
angreifbar und undurchdringlich, Nas Rüst-
zeug besteht zwar uur aus vielfältig verdoppel-
tem Papier und Pappdeckel; aber man weiß,
daß ein Bnch, Nruckpnpier oder Makulatur, selbst
einer Flintenkugel widersteht. Leider hindert sie
das Gewicht des Apparats, weiter zu kommen.
Selbst unangrcisbar, sind sie auch nicht imstande,
zu ergreifen, zn bewege», zu eroberu, zu gc»
winucn. Unbeweglich stehen sie und schwingen
den Flammbcrg ins Blaue. Was freiwillig in
ihre Nähe kommt, wird ihre fichcre Pente,
Nie leichte Reiterei ist ebenso leicht, als die
andere schwer ist, Ihre Armatur tlasft vou
nlleu Seiten, Unfähig, den Wind zu durch-
schneiden, werden sie vielmehr vom Windznge
vor sich hcrgetricbcn. Sie besiegen alles, was im jeweiligen Strich der Windrose von ihnen
Ter grüßte Teil der Dichter aber gehört znm
Fußvolk, Sie sind zwar wie die Reiter uud
noch dazu meistens schwer gerüstet, haben aber
Schuetterdeng, Schnctterdcng zu blasen. Nie ge-
feiertsten Nichternamen der neueren Zeit ge-
hören zu dieser Abteilung, Iu ihrer Falme
fuhreu sie eine Rose mit einem ganz llciuen p
davor.
Wehe dem Tichtcr, der sich seinen Stoff uud
die Behandlung desselben vom Publikum dit-
liercu läßt. Aber wehe auch dem, der vergißt,
daß seine Aufgabe ist, seiu Werk der allgemeinen
Menschcnnatur verständlich nnd empfindbar zu
druck, als die Stimme der allgemeinen
Menschheit,
Waruni mau in der Poesie die Gattungen
nicht mische» soll? Weil jede ihren eigenen
Standpunkt der Anschanuug, einen andere,i
Grad der Verkörperung mit sich führt und er-
fordert, welche, gemischt, sich stören uud auf-
heben: Lyrik, (!pos, Traina, Auöficht, Umfiel,
Ansuht.
Neun man in den Fall käme, einem recht
prosaischen Menschen, besonders einem Mouav-
chen vom gewöhnlichen Schlag, die Nutzbarkeit
der Poesie beweisen zu solle», so wüßte ich es
von li'incr Seite besser zn tuu, als vou cxr,
daß sie Bewahrerin des Reiches der Idee ist,
Tasz aber Ideen von Vaterlandsliebe, ^clbst-
wohl noch dartun, selbst dem trockensten begreif-
lich dartnn. Wollte aber der Mann dauu imr
reguug solcher nützlicher Ideen befchäftigt, fo
mühte man ihm vorstellen, daß das Vermögen,
in allen Dingen zur Fertigkeit gebracht werd^i
müsse, wen» man im Notsalle hervorrufen wolle,
was mau eben brancht. Na köuute nnn der
Nie Pocfie muß schlechterdings ihre willkür-
lichen Zeichen zn natürlichen zu erheben suclieu:
Profa uud wird Poesie, Nie Mittel, wodurch
sie diefes tut, siud der Tou, die Worte, die
uud Tropen, Gleichnisse usw. Alle diese Tiuge
bringen die willkürlichen Zeichen den natürlichen
Zeichen: folglich sind alle Gattungen, die sich
back to the
book Grillparzers sämtliche Werke - Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Volume II"
Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Volume II
- Title
- Grillparzers sämtliche Werke
- Subtitle
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Volume
- II
- Editor
- Rudolf von Gottschall
- Publisher
- Hansa-Verlag
- Location
- Hamburg
- Date
- 1906
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.2 x 15.9 cm
- Pages
- 552
- Keywords
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Categories
- Weiteres Belletristik