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L, Zur Ästhetik und Poetik, 345
Mail eifert jetzt gegen die Deklamation im
versifizicrtcn Trauerspiele, Man tan» aller-
dings die Emphase zu weit treiben, darf aber
auch nie vergessen, daß der Vers die Mitte
zwischen der Rede und dem Gesänge ist.
Mau gefällt sich in neuester Zeit darin, einen
Unterschied zwischen Dramatischein und Theatra-
lischen! zu machen, Ganz falsch, wie mir scheint.
Das echt Dramatische ist immer theatralisch,
wenn auch nicht umgekehrt, Das Theater ist
Gegenstände Anschaulichkeit und Verhältnis zu-
einander haben. Über den Nahmen hinaus sind
die Anschauung wird schwächer und verwirrt sich,
sie nimmt mehr die Form der epischen Snkzessio»,
Die neuesten Ästhetiker wollen der Stoffe
suchenden tragischen Knust bloß allein die Ge-
schichte anweisen, deren Falta, al-5 unmittelbare
Än^flüne d>'5 Wcltgeistec-, allein die nötige Tiefe
uud Würde hätten, lächerlich! Hie Be geben-
Iiciten mögen wohl allerdings das Werk des
Wettgeinec' sein, aber die Geschichte? Was ist
dringlichen Begebenheiten aufnimmt! das, weis;
Gott, ob Zusammengehörige, verbindet; das Un-
verständliche durch etwas Verständliches ersetzt;
seine Begriffe von Zweckmäßigkeit nach außen
einem Ganzen unterschiebt, das wohl nur eine
nach innen kennte Abficht findet, wo keine war;
Plan, wo an kein Voraussehen zu denken; und
wirkten Was'anders ist die Geschichte? Was
anders, als das Werk des Mensche»? Da es nuu
aber nicht die Begebenheiten, sondern ihre Ver-
Dichtcr ankommt, so laßt ihn in Gottes Namen
sich auch seine Begcbeuheiteu selbst erfinden,
wenn er anders dazu Lust hat.
Der übelste Dienst, den man in Deutschland
de» Küustcn erweisen kennte, war wohl der, sie
sämtlich uuter den Namen der Kunst zusammen-
zufassen. So viel Berührungspunkte sie unter
sich allerdings wohl haben, so unendlich ver-
schiede,! sind sie in den Mitteln, ja in den
Wenn man den Grundnnterschied der Musik
und der Dichtkunst schlagend charakterisieren
wollte, so miistte man darauf aufmerksam
machen, wie die Wirkung der Musik von Sinnen-
reiz, vom ^Vvoenspiel beginnt und, nachdem das
<,enil!l angeregt wurden, höchstens in letzter
Instanz an das Geistige gelangt, indes die
Tichttiüist ii,ersl den Begriff erweckt, nur durch
ilm ans dao Gefühl wirkt und als äußerste Stufe
d« Vollendnng oder der Erniedrigung erst das Sinnliche teilnehmen läßt; der Weg beider ist
türpcruug des Geistigen, Ans diesem theorc»
tischen Unterschiede ergibt sich nun aber ein
häßliche (Unschöne) schon einigermaßen frei»
gebig anwenden. Denn da die Wirkung der
Poesie nur durch das Medium der unmittelbar
von ihr erweckten Begriffe an das Gefühl g>
langt, so wird die Vorstellung der Zweckmäßig»
keit den Eindruck des häßlichen (Unschönen)
von vornherein insoweit mildern, daß es als
Reizmittel und Gegensatz sogar die höchste Wir»
fangen nnd genossen, die Villiguug des Vcr»
staudes kommt zu spät, um die Störungen des
Mißfälligen wieder auszugleichen. Daher darf
Grenze war das Schöne,
Der oft gebrauchte Satz: Die Musik ist eine
Poesie in Tönen, ist ebensowenig wahr, als es
eine Musik in Worten, Der Unterschied dieser
beiden Künste liegt nicht bloß in ihre» Mittel»;
er liegt in de» ersten Gründen ihres Wesens,
Drei Hauptuntcrschiede im Wescu der Musik
Verschiedenheit in den Gesetzen ihrer beider»
seitigcn herUorbriugungcn veraulasscn. Diese
siud;
Erstens, daß eine Verbindung vou Töueu gc»
dabei bestimmt zu denken braucht, was bei
Worten nicht der Fall ist, die immer nur durch
ihre» Sin» wirke»,
Verstand und höchstens durch ihn ans die Sinne,
die Töne aber zuuächst auf die Sinne und nnr
dnrch sie uud höchst eutsernt auf den Verstand
uie Sachen; indes das Wort mit der Schärfe
des Begriffs bezeichnet. Ich möchte ein Gcgcn-
Musik und Poesie schreiben.
Es müßte darin gezeigt werden, wie unsinnig
Sklavin der Poesie zn machen und zu verlangen,
daß erstere, mit Vcrleugunug ihrer eigeutllm-
Poesie vollkommen nachzulallcn mit ihrcnTönen,
was diese deutlich spricht mit ihren Wegrissen,
Es müßte aufmerksam darauf gemacht werden,
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Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Volume II
- Title
- Grillparzers sämtliche Werke
- Subtitle
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Volume
- II
- Editor
- Rudolf von Gottschall
- Publisher
- Hansa-Verlag
- Location
- Hamburg
- Date
- 1906
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.2 x 15.9 cm
- Pages
- 552
- Keywords
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Categories
- Weiteres Belletristik