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Zur b!eschiä,te und Zeitgeschichte. 351
v',,i,nvcn Dichtnngen einec- rohen NatnlündcZ,
der Gott die Welt wie einen Taglöhner zu.
samnicnziinmern läßt, nachbeten zu hören. Man
entschuldigt diese Sonderbarkeit gewöhnlich da-
mit, daß nill» doch nichts habe, was man an die
Stelle der mosaischen ilosmogonie setzen könne^
aber inuß man das Absurde annehmen, weil
man das Wahre nicht weiß? Wer wird die
Sterne mit einigen Alten für Löcher ini
Himmelsgewölbe halten, weil er ihre eigentliche
Natur nicht kennt?
Das hat wohl schon mancher empfunden,
Instorischen Werten den lieben Gott rüstig an
seine sech^tägige Arbeit gelien, nachdem er die
Erde, das unendliche Sonnensystem aus dein
Schaffung dcö ersten Menschen krönen (eine
Idee, gan,-, der seldstgeüiigsiimeu Barbarei un«
einen guten Tag antun und ausrasten uon den
Beschwerden der Woche, Taß nian den ^iineiber
dieser Nachrichten lange Zeit für inspiriert hielt,
eingesogene Ideen ankleben, Wenn anch der
gnl,' '",>i!,i! l^,,i ^lnlosoph war, so lvar er doch
ein desto besserer Dichter, Nicht als ob ich das
Jeder Wilde würde sich über dieselbe Sache
ebenso ansdrücke», es ist weiter nichts, als die
Sache mit so wenigen Worten gesagt, als inög-
sehen hat in der Tat sehr viel Poetisches,
Tie Jahrhunderte der Krcuzzüge.
Im Gang der Zeiten ist kein Stückwerk; un-
unterbrochen, ein ganzes Gewebe läuft er in
verschiedenen Formen und Schatticrnngen seit
dieselben, die sich durch die Begebenheiten einer
einfachen Vorwelt fchlingcn,
Die gewöhnliche Art, die Geschichte zn
studieren, kann nicht leichter sein, aber leider
ist sie so unfruchtbar, als sie leicht ist. Nach«
sinnig ausgeforscht, wie das Pferd Lalignlas gc-
heiszeu und ob der Stein, der den König Pnrrlms
getötet, ein Ziegel oder Bruchstein gewesen;
Geschichte über, fängt etwa mit Karl V, an nnd
fucht dem erliegenden Gehirne denselben Brei
schon in der Geschichte jener alten Gaunerstaaten
bis zur Ubcrsüllung geschluckt hatte, So wird
die In'rrlichste der Wissenschasten, beinahe möchte
ich fie einen Inbegriff aller übrigen nennen,
zum Handwerk oder vielmehr Gedächtniswerk
herabgewürdigt, so treibt der Mensch ihren
lebendigen Geist aus, nm seiner eigenen Geist. losigkeit eine entsprechende Nahrung zu ge»
währen,
^'nn denn, das Tun des Menschen in feiner
Welt ist ganz. Willst du das neunzehnte Jahr-
hundert kennen, so lerne es in der Geschichte des
zwölften. Was da ist, wissen, ist nicht schwer,
aber erkennen, warum es ist, das ist nur
wenigen aufgespart. Wenn auch Noms und
die »cnntnis derselben doch nur geringen Auf-
schluß über die gegenwärtige Lage der Dinge
gebe,,, denn von ihnen ganz verschiedene Völker,
^lviiVt; ihre Weise zu leben und zu handeln
ist mit ihnen untergegangen. Nicht ans Roms
hat sich uuser Zustand entwickelt. Die alte Ge-
schichte kann uns zwar einen Überblick im großen
gewäbren, genauere Details liefert nur das
Mitte,alter.
Dieser letztere Zeitraum ist es, der den
! Schlüssel zu deu Nätsclu kaun: entschwundener
! Jahre, schon geschehener Umwälzungen nnd
wich«, die noch die Zukunft verschleiert, dar-
bietet. Was jetzt ist, was jetzt iu herrlicher Voll-
endung dasteht, hat sich aus dein wildeu Chaos
jeucr dunkeln Jahrhunderte entwickelt, wie die
Pflanze aus der Fäulnis des Samenkornes
keimt,
Ter ekle Geschmack, dnrch den Flitterstaat
Noms und Athens verwöhnt, verschmäht es,
aus jenen Zeiten der verfcinertsten Verfeinerung
auf ei,,mal sich in ein rohes Zeitalter nnter
Völker, die er als die Zerstörer jenes gcträumten
Utupill ansieht, zu versetzen, das Ohr an den
Wohlklang griechischer Silben gewohnt, mit dem
bm biirischen Latein unzierlichcr Mönche zu
quälen. Arme Schwächlinge! Tes Menschen
Größe besteht weder im Wissen, noch iu:
Elenden, den diese letzte Größe nicht erhebt, be-
geistert, in welchem Gewände er sie immer trifft.
Man ist gewohnt, jene rohen Naturmenschen aus
den Wäldern Germaniens als Zerstörer aller
waren, die, zwar nicht die römische, aber doch
o,e Weltordnung erhielten nnd erneuerten,
aushaucht, da brausen plötzlich Sturmwinde
daher, entwurzeln morsche Lichen, enipör.n die
Gewalt, und ringsumher ist Verwüstung, Da
Natur segnet, der selbst, wenn er zerstört, in,
G«inde nur bant, wenn er zu fluchen fcheint,
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Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Volume II
- Title
- Grillparzers sämtliche Werke
- Subtitle
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Volume
- II
- Editor
- Rudolf von Gottschall
- Publisher
- Hansa-Verlag
- Location
- Hamburg
- Date
- 1906
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.2 x 15.9 cm
- Pages
- 552
- Keywords
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Categories
- Weiteres Belletristik