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Zur Geschichte und Zeitgeschichte. 365
allem so umstellen: ist diese Meinung wahr, oder
ist sie falsch? Nenn wäre sie wahr und doch
schädlich, so mag sich dasjenige ändern, dem das
Wahre schädlich ist, denn es ist schlecht, das
Wahre dagegen die Quelle alles Gntcn. Zum
steht, da>? Wabre nnd das Gute nbdalten, ist der
grüßte Freuet, dessen die menschliche Natnr sich
teilhast machen lann, Tie Zensur soll also nur
den verschiedenen Gesichtspunkten eins und das«
selbe ist, zulassen, das Falsche und Schlechte aber
verl.',,ien, Nun frage ich: gibt es nicht ganze
und das Schöne in allen seinen Formen unter
allen Umständen zu erkennen fähig gewesen
geschlecht besteht, nur ciu Mann gelebt, der
diese Unterscheiduugsgabe sich in allen Fällen
hä:ie antrauen Immen? oder anch nur an«
nälnrnd? Glaubt ihr, die ausgezeichneten
zustellen, sich der geisttötenden Mühe unter-
ziehen, die endlosen Alten des wunderlichen
Profiles zu dnrchleseu, dessen Ergebnis die
,,anten Falle zu sagen: mir scheint das so, mir
scheint das anders, abzuurteilen aber fühle ich
mich nicht bernfen. lind wenn diefe fich zurück-
gezogen baden, was bleibt euch übrig, als zu
wahr ncnneu, was bisher für wahr gegolten,
und falsch, was sie nicht «erstehen. Und diefcn
>eit an, das Wahre, das Gute, das
lciue Sensoren gibt.
Iur Sprachenfrage in ilugarn,
Wenn die Ungarn den Slawen die magya-
rische ^preiche wenigstens für die öffentlichen
Verhandlungen aufdringe» wollen, so bedienen
sie iich vornehmlich zweier Argumente, Tas
erste ist, das; sie die erobernde Nation seien und
daher ein Recht hätten, ihre volle Nationalität
die Magyaren in frühester Zeit Ungarn erobert
lmdei,, so IN d>i-vVwe 1,1 späterer Zeit uon den
Teutschen geschelien, die das Land den Türken
entrissen baden, nnd die Teutschen hätten daber
dasselbe Necht sür ihre Sprache geltend >>n
machen, wao auch unter Kaiser Iosepl, geschehen
ist und, gena» beselien, sür die ganze Einwohner-
schaft das vernünftigste wäre, wieder nur für
die mienllichen ^erbandlungen, versteht fich,
Tas ziveite Argument ist, das; die Slawen
bei Erlernung der magyarischen Sprache doch nichts verlieren, da sie anch früher die lateinische
Unterschied, das; bei Aneignung der lateinischen
Sprache man zugleich einen großen andern Ve-
Sprache nichts erhält als ein Ausdrucksmittcl,
das kein Kulturmittel ist und auch uie eines
werden wird, Tie Ungarn sollten vielmehr selbst
besseren nöpfen, wie nicht zu leugnen, eine ge-
w,sse Originalität uud Kraft kuud gibt, sie dies
vielleicht hauptsächlich der vou Kindheit auf be-
Wort redeu, fie hatte aber wenigstens einen
Vorzug, das allgemeine Verständiguugsmittel
für drei verschieden redende, gleichberechtigte
Nationen zu sciu,
Tic magyarische Sprache wird dem Lande
Magyaren hervorgerufen hat, ist im verdoppelten
Maßstabe, wie immer bei den Unterdrückten,
nnicr den Slawen rege geworden; sie werden
sich die Sprache ihrer Aewältiger nie, als hoch» .
ungarische Sprache keine Iutuuft hat, Ohue Zu-
fammenhang mit irgend einem europäischen
^5,o,n und auf eiu paar Millionen größtenteils
unkultivierter Menschen beschränkt, wird sie —
Nation sich nie ein wissenschaftliches oder Kunst»
kum haben, Uud ohne Leser keine Literatur,
Wenn >!ant seine Kritik der reine» Vernunft in
ungarischer Sprache gcfchriebeu, so hätte er viel-
leicht 'drei Exemplare abgesetzt, Gedichte und
die Mvde warm ist, mit Glück in der Landes-
sprache debitiert werden: das ist aber die Lite-
ratur des Augenblicks und der Oberflächlichkeit,
Fäl'ii'.lciten auch iioch fo gut wären. Anders
dagegen ist es fchon mit den Slawen, Er ge-
hört einem weit verbreiteten Sianime, dessen
Rußland stünde. Er hat-alfo für fciuc Sprache
wcnigste»^ eine Aussicht, der Ungar keine, ob-
ilwM jiir die Gegenwart dein Slawen seine Ans-
ficht eben auch uichts hilft, und er, wie der
Ungar, geuötigt ist, zu einer andern Sprache als
Vildnng-mittcl seine Zuflucht zu uehnieu, und
Was folgt nun aus dem allem? Es folgt,
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Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Volume II
- Title
- Grillparzers sämtliche Werke
- Subtitle
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Volume
- II
- Editor
- Rudolf von Gottschall
- Publisher
- Hansa-Verlag
- Location
- Hamburg
- Date
- 1906
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.2 x 15.9 cm
- Pages
- 552
- Keywords
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Categories
- Weiteres Belletristik