Page - 391 - in Grillparzers sämtliche Werke - Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Volume II
Image of the Page - 391 -
Text of the Page - 391 -
VI, Biographisches 391
im höchsten Zorne befahl er mir, ihm augen-
blicklich ein Exemplar des gedruckten Traktates
zu verschaffen, d»n>, den bekanntlich ein Tritt-
leil der Monarchie an Frankreich abgetreten
wurde, Er las die Druckschrift ganz durch,
legte sie daun von sich und lehrte sich gegen die
Wand, Von da an hatte er kaum mehr ein
Wort gesprochen. Nur als ich an einem der
solgendcn Tage, Uou einer dunklen Alninng
eines baldigen Endes ergriffen, an feinem Vette
auf die Knie fank und seine .Hand wärmend
!üs,te, sagte er- Nun ist's zu spät! womit er
denn doch wohl audeuteu wollte, daß er mit
meinem Wesen und Treiben nicht völlig zu»
Tcsfclben Tages saßen wir mittags bei
Tische, uud zwar, seinem Wnnlche gemäß, in
dein Zimmer, in dem er lag. Na tat er'ein paar
stärkere Atemzüge, Wir sprangen auf und eilten
hinzu, er aber war tot,
Ich habe meiucu Vater eigentlich zärtlich nie
geliebt. Er war zu fchrosf. Indem er mit einen,
ilöchst erfolgreichen Bemühen jeden Ausdru.ct der
eigenen Empfindung in sich verschloß, machte er
oie Annäherung jeder fremden beinahe uumöa,
lich. Erst später, als ick) die Gründe mancher
seiner Handlungen einsehen lernte, uud der bis
hafteu Nechtschasfeuheit mich begliictle nnd ^
in weiter Entfernung — zur Nacheiferuug be-
geisterte, habe ich seinem Andenken nachgetragen,
Der Tod meines Vaters versetzte uus in eine
beinahe hilslose Lage, Die von ihm in den
letzten Monaten kontrahierte Schuld mußte ab»
erhielten wir lanni den zehnten 3eü, Was
sonst vorhanden war, reichte knnm hin, die
Auf uns Kinder kam beinahe nichts, welches
Beinahe durch das zwei Jahre später er-
scheinende Finanzpatent von Jahre 1811 auf eiu
Finanzpatent brachte die Pension, welche mein
Vater duiä, iahilichc Einlagen bei der Fakul-
eigentlich nur niit drei, denn mein zweiter
^uder Karl war nach den wunderlichsten Er-
würden, uufichtbar geworden. Ich selbst, da»
mals 18 Jahre alt, befand mich im vorletzten
Jahrgange meiner juridischen Studien, Natür-
lich mußte ich sie fortseyen, Mciuem dritten
Nrnder, Vamillo, wurde durch seine musikalische
Geschicklichkeit das Glück zu teil, daß ihn der
Amtmann einer Staatsherrschast zugleich als
Aintspiaktikantcn und Klavierlehrer seiner Toch-
ter in sein Halis »nd völlige Versorgung »ahm,
Tcr svatgcborene vierte, Adolf, besaß eine gute
Stimme und wurde schon seit längerer Zeit im ! Singen nnterrichtet, um später als Hoffänger«
knabe im kaiserlichen Kunvilte seine Studien
vollenden zu können. Das waren alles Hoff-
nungen für die Zukunft, aber die Gegenwart
drängte. Da kam mir znstatten, das; meine
Prufcfsoren mich für einen guten Juristen
hielten. Sie verfchafften mir, soviel ich weiß,
nnaufgefordert, Iuformationsstunden bei zwei
daß meine Bedürfniffe gedeckt waren und wohl
anch etwas für die Familie übrig blieb. Zu»
gleich fiel mir mein vergcfsenes Trauerspiel ein.
Ich schrieb cs gemeinschaftlich mit meinen Freun«
oen Wuhlgcmuth uud Altmütter ab nnd über-
reichte es dem Bruder meiner Mutter, dem-
felben, mit defscn Beifpiel mich mein Pater von
infolge einer der vielen Phasen seines Lebens»
planes, als Sekretär und Dramaturg bei dem
Wiener Hosburgtheater angestellt war. Ich
wartete lange auf Entscheidung, endlich erhielt
ich es mit der Äußerung zurück, daß es nicht
o,mi,5 recht, dcmungcachtet glaube ich, daß er
da^ Slucl, abgeschreckt durch die unmäßige Lauge
uud die nicht einladende Handschrifr Alnnütters,
gar nicht, oder wenigstens nicht zu Ende gelesen
Talenten darin entdecken müssen, das nicht so
kurz abzufertigen war, um so mehr, al>? es ilmi
weder an Herzensgute noch an Perstand fehlte.
Nur war er ungeheuer flüchtig, 2o erinnere ich
ciu Iahe lang »„gelesen auf seinem Pulte liegen
hatte, ja, es als ein Zeichen des Unsinns unserer
Zeit bezeichnete, daß jemand ein Stück in
Stanzen, so nannte er Trochäen, zu schreiben
unternominen habe. Erst der Schauspieler
Hertcnr, der um ein Stück für seiuc Eiuuahme
«erlegen war, las es nnd brachie es zur Auf»
führuug, wo es dauu die ungeheuerste Wirkung
iu ganz Teutschland machte.
Mir selbst fiel bei der Rückgabe meines
Trailerspieles die Prophezeiung meines Vaters
ein, nnd ich suhlte mich in dein Eutsclüusfe be-
stärkt, der Poefie, vor allein der dramatischen,
Inzwischen verlor ich meine beiden ^nstrnk'
tiuncn, da einer meiner Eleven, ein ziemlich
andere aber, ein geistreicher junger Mensch, der
freilich in den Lehrftunden lieber von Literatur
als von iuridischen Dingen sprach, in fein Vater-
land Wälfch-Tirol zur Bewirtfchaflung seiner
! Güter zurückkehren mußte.
Der Ersatz war übrigcus bald gefunden,
(5beu wieder einer meiner ehemaligen Professoren
niit bleibender Bestimmung zu treten," Es war
der Neffe eines reichen Grafen in den juridifchcn
Gegenständen zn unterrichten, wozu man, da
back to the
book Grillparzers sämtliche Werke - Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Volume II"
Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Volume II
- Title
- Grillparzers sämtliche Werke
- Subtitle
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Volume
- II
- Editor
- Rudolf von Gottschall
- Publisher
- Hansa-Verlag
- Location
- Hamburg
- Date
- 1906
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.2 x 15.9 cm
- Pages
- 552
- Keywords
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Categories
- Weiteres Belletristik