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VI, Biographisches. 405
skulln so barbarisch und romantisch gehalten
werde», als möglich, gerade um den Unter-
schied zwischen Kolchis und Griechenland hcrans-
glüillich auf der Höhe, die ich mir vorgesetzt,
und war über die Halste der zweiten Abteilung
gelangt, so daß ich hoffen tonnte, diese baldigst
schlösse». Während ich mich in Gastein befand,
hatte meine Mutter immer sortgekrä»lelt ^ie
hatte ilir achtu»dvierzigstes Jahr erreicht und
weibliche Natur eine» groneu Unischwuug er-
leidet, Trotz des Beistandes eines sehr ge-
schickten Arztes verschlimmerte sich ihre >:ra,,k
Bett nicht mehr verlasse», ja es stellte sich
periodenweise eine eigentliche Geistesverwirrung
ein. In diesen, Zustande begebrte sie, da die
österliche Zeit heranrückte, aufzustehen uud zur
ilonimimwn zu gelieu, obschon sie sonst gerade
Befragen erklärte der Arzt, daß von einen:
Selbslbcsuch der Kirche für fie durchaus uicht
die Rede seiu töuue, ja selbst die ssommuuiou im
l^ anse schien ihm, luegen der damit verbuudeueu
Aufregung, bedenklich, um so mehr, als an eine
nahe bevurstelieuoe Todesgefahr gar uicht zu
deuten sei, ^ie töuute, meinte er, fich uud
audcreu zur Qual i» ihrem gegenwärtigen Zu-
stande noch melnere Ialne lebe», ll»i sie zu
berulnge», versprach ich ihr, uächsteu Tages den
Priester mit dem Allerheiligsten holen zu lassen,
indcin ich hoffte, daß bis dahin sich ihre Be-
sinnung wieder hergestellt haben werde, lind
so legte ich mich zu Bette, Nach Mitternacht
gegcu Morgen wurde ich durch ein «lupfe» au
meine Türe aufgeweckt, (5,? war die Magd, die
»eben der Küchin eigens zur Pflege der «ranten
ciufgenonimen worden war, Sie bat mich um
Gottes willen, hinüber zu kommen, da die
gnadige Frau durchaus nicht ins Bett zurück-
gehe» wolle. Ich eilte ins Zimmer meiner
^,'iüier und fand diese, I,a!l> angekleidet, au der
Wand zu Häupten ihres Bettes steheud. Ich be-
schwor sie, sich leincr Erkältung auszusetzen uud
sich wieder niederzulegen, crlnelt aber leine Ant-
wort, Ich faßte fie an, um allemalls ihrer
Schwäche nachzicheüe», da, bei dem scheine des
von der Magd gehaltene,! dichtes, sah ich ihre
Zuge starr uud leblos, Ich hielt meiuc Mutter
tot in meiuen Armen, Walmcheiulich war ihr
wahrend der Nacht der Gedanke wiederge-
kommen, in die «irclie zur «ommuuion ^u
gehen. Während fie fich ankleiden wollte, traf
fie ein Schlngflnß, wob.'i ihr Rücken gegen die
Mauer lehnte, während ihre Knie sich gegen
den vor ihr steüeudeu Nachttisch stemmten/ so
daß sie anfreclit im Tode dastand, Tas Entsetzen
".omentes läßt sich begreifen. Na aber
!^!!eicht noch Hilfe möglich fein konnte, befahl
ich den Mägden, die Frau ins Bett zu bringen,
und eilte augenblicklich fort nach dem Arzte, der traut, die Tote anzufassen, uui) sie, stand »och
immer neben ihrem Bette, Wir brachten sie
in dieses, wobei aber der Arzt sogleich erklärte,
teilen, der das, ich möchte sagen, Idyllische
unseres Zusammenlebens gesehen I,ätte, Seit
ich »ach dem Versiegen ihrer eigenen Hilssancllen
allein die Bedürfnisse des Hanfes betritt, oer-
Gatte, 2ic hatte keinen Willen als den
meinigcn, mir fiel aber auch nicht ein, einen
Wille» z» hab.'n, der «icht der ilirige gewesen
wäre. Alles Äußere überließ ich ihr blindlings,
nach der Art der weiblichen Ze,tgenossen ihrer
besonders war damals bei den: weiblichen Ge-
schlechte wcnig die Rede, al>er uach dem Vliiust-
lerische» ihrer nmsikalische» Natur fedlte es ihr
uicht au Liuu für jedes, und sie konnte iu alles
eingehen, wenn sic's auch nicht oerstaud. Aus
daß ein eheliches Verhältnis meinem Wes/u gar
nicht entgegengesetzt war, odwM ein solches
Verhältnis sich nicht gesuuoeu l,at, ^'s liegt
etwas Nelonziliautes und ^a^qnl^ge^ in mir,
das sich uur gar zu gcru selbst der Leitung
anderer iiberlänt, aber immerwährende ^to«
ich nicht, kann ich nicht ertragen, wenn ich auch
wollte. Ich hätte müsse» allein sein löniien in
eiu>r (5he, indem ich vergessen liätte, dar, meine
^rini eiu audcrcs sei, meinen Anteil an dem
wechselseitige» Ausgeben des ^töreudeu liätte ich
Iiee^ia, gelii l>> i>,eiragei,, Ader eigentlich 51,
zweieu zu sciu, verbot niir das Einsame meines
Wesens, Einmal schien ein solches Verliältnis
sich gestalten zu wollen, es wurde aber gestört,
weiß Gott, ohne meine Tclnild,
Tie, weuigstcus für mich, gräsilicheu Um-
stände bei dem Tode ,»einer Mutter grifjen
meine Ges»»dheit aufs fei»dseligste a», Tie
ser»u»g vou Wie,,, Tie srul,e Ialneszcit, es
war im Monat März, erlaubte eine» ^and-
a>,seut!,alt nicht' also eine Reise; aber wohin?
Italien stand mir zwar Uon jeher lockend da,
branchte damals fo viele Vorbereitungen, Es
ninstte ein Vortrag an den >laiser oder dessen
Stellvertreter erstattet werden, und erst nach
erlangter höchster Geiiehmiguug wurde der er-
forderliche Paß ausgefertigt. Auch wäre» die
Reifegelegenhcitcn damals nicht so organisiert,
wie gegenwärtig, Extrapost zn »elnnen, er-
laubten nieine Geldmittel »icht, selbst Eilwägen
gab es »icht, alle übrigen Transportmittel
waren eher Gesundheit zerstörend als heilend.
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Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Volume II
- Title
- Grillparzers sämtliche Werke
- Subtitle
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Volume
- II
- Editor
- Rudolf von Gottschall
- Publisher
- Hansa-Verlag
- Location
- Hamburg
- Date
- 1906
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.2 x 15.9 cm
- Pages
- 552
- Keywords
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Categories
- Weiteres Belletristik