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Oswald Redlich (1858–1944) 41
niges zu ändern vermocht. Hier konnte Redlich jedoch nur die Tätigkeit des Habsburgers
im mitteldeutschen Thüringen nennen51.
Zwei – einander wohl bewusst widersprechende – Argumentationsstränge verfolgte
Redlich bei der Gesamtbeurteilung von Rudolfs Reichspolitik. Zum einen habe der
Monarch danach getrachtet, überall dort, wo es ihm möglich war, die ihm verbliebe-
nen Prärogativen wahrzunehmen, darunter den Reichslandfrieden, die Städtepolitik, den
Reichskrieg gegen Frankreich, schließlich vor allem die Zurückgewinnung von nicht in
kurfürstlichen Besitz gelangtem Reichsgut. Hätte Rudolf nicht mehr getan als das, so
Redlich, würde seine Politik allein schon „den Anspruch auf hohe Anerkennung“ besit-
zen52. Eine solche Tätigkeit war ja auch, wie Redlich am Beginn des Buches feststellte,
vom Kurfürstenkollegium ausdrücklich gewünscht. Dem gegenüber steht aber ein zwei-
ter Argumentationsstrang, Redlichs Versuch, sich in die unausgesprochen-geheime Ab-
sicht Rudolfs „einzufühlen“ : Das Hausinteresse in den Dienst des Reichsinteresses zu
stellen, über das Hausinteresse zum Reichsinteresse emporzusteigen, durch Gewinnung
einer mächtigen Hausmacht das Fürstentum „im Zaume“ und „zusammenzuhalten“, eine
mächtige königliche Zentralgewalt im Reich zumindest de facto wiederherzustellen – das
sei es gewesen, was Rudolf „sicher“ als Vollendung seiner Reichspolitik durch erwünschte
habsburgische Nachfolger erträumt habe53. Hier ging Redlich über Rankes und Fickers
Interpretationen hinaus.
Aber welche großgewordenen Fürstentümer meinte Redlich hier mit seiner merkwür-
dig vagen Formulierung ? Sehen wir auf einen historischen Atlas des 13. Jahrhunderts, so
erkennen wir nur eine Dynastie, deren Länder Rudolf derartig geopolitisch „im Zaume
halten“ konnte : Es waren die ihm eng verbundenen Wittelsbacher, die sich vor allem
aufgrund der Veräußerungen Konradins den Löwenanteil am ehemaligen staufischen
Reichsgut gesichert hatten. Eben jene Wittelsbacher, deren Familienoberhaupt Ludwig
der Strenge, der Rudolf in seiner gesamten Regierungszeit in enger und unverbrüchlicher
Freundschaft zur Seite gestanden war. Auch die günstige Gesinnung des jungen Bayern-
herzogs Otto III. war für Rudolf schon aufgrund der noch ungelösten Frage der bayrischen
Kurfürstenwürde unentbehrlich. Hoffte der „Realpolitiker“ auf dem deutschen Königs-
thron die Gewogenheit und Freundschaft der Wittelsbacher zu erhalten und gleichzeitig
eine Territorialpolitik einzuleiten, die sie bedrohen sollte ? Hier wurde Redlich spekulativ.
Ein Niederhalten auch der Fürsten, die seine wichtigsten Verbündeten waren, musste
Rudolf eben, so Redlich, seinen Nachfolgern auf dem Thron überlassen. Und um diese
Nachfolge den Habsburgern zu sichern, brauchte Rudolf die Kaiserkrone. An deren Er-
51 Ebd. 642f.
52 Ebd. 735.
53 Ebd.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625