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Hans Uebersberger (1877–1962) 161
Mühlbacher hätte dem Prinzen niemanden vorgeschlagen, dem er nicht zugetraut
hätte, in kürzester Zeit Russisch zu lernen18, d. h. Uebersberger entsprach wegen seiner
profunden Ausbildung – er war Absolvent des 22. Ausbildungskurses des IÖG 1897–1899
– und seiner sprachlichen Voraussetzungen dem gesuchten Jobprofil. Er sattelte deswegen
1899 vom Wunsch, Kunsthistoriker zu werden, auf Historiker um, erlernte als Slowe-
nischsprachiger das Russische im Privatunterricht ziemlich rasch und wurde mindestens
bis 1920 zum Protegé des liechtensteinischen Prinzen19. Sein Bemühen, dem Prinzen an-
fänglich auch charakterlich zu gefallen, war wohl der Tatsache geschuldet, dass er ziemlich
rasch die Chance eines beruflichen Aufstiegs witterte, sei es ursprünglich wohl als Histo-
riker und/oder Archivar des Hauses Liechtenstein, sei es später als Lehrstuhlinhaber dank
fürstlicher Gnaden an der Universität Wien. Die Zäsur für die zweite Präferenz resultierte
sowohl aus den persönlichen Gesprächen zwischen Uebersberger und Liechtenstein sowie
aus den Forschungsaufenthalten Uebersbergers in Russland ab 189920.
Die in der Forschung strittige Frage, ob Franz Liechtenstein mit seiner Stiftung des
Seminars für Osteuropäische Geschichte Wissenschaftliches oder Politisches im Sinn
hatte21, ist sehr vielschichtig22 und praktisch nur diplomatisch zu beantworten mit in
Erfahrung gebrachten Wissensdefiziten derjeniger, die in führender Positionen dem Staat
18 Alphons Lhotsky, Geschichte des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 1854–1954 (MIÖG
Erg.-Bd. 17, Graz/Köln 1954) 277 ; Leo Santifaller, Das Institut für Österreichische Geschichtsforschung.
Festgabe zur Feier des zweihundertjährigen Bestandes des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs (Veröff. des
IÖG, Wien 1950) 122. Titel der Hausarbeit : „Kardinal Francesco Borromeo und seine De pictura sacra libri
duo.“ Den 22. Kurs besuchten auch der Slowene Franc Komatar und die beiden Tschechen Kamil Krofta und
Adolf Ludvík Krejčík, d. h., Mühlbacher hatte durchaus mehrere Alternativen. Über die schließlichen Motive,
die für die Wahl Uebersbergers sprachen, schweigen die Quellen, siehe Leitsch, Stoy, Seminar (wie Anm. 2)
60–61, 221, sowie Suppan, Wakounig, Uebersberger (wie Anm. 3) 94.
19 Uebersberger schmeichelte Franz Prinz Liechtenstein mit dem Titel Fürst, obwohl diesem der Titel erst nach
dem Tod seines Bruders Johannes 1929 zustand, siehe Wakounig, Grandseigneur (wie Anm. 17) 53, 56–66.
20 Zur ambivalenten Beziehung zwischen Liechtenstein und Uebersberger vgl. die diesbezüglichen Korrespon-
denzen im HFL, im Archiv des IÖG und im Archiv der ÖAW, die von Leitsch, Stoy, Seminar (wie Anm.
2), intensiv erforscht und für die Institutsgeschichte extensiv herangezogen wurden. Zu den Aufenthalten von
Uebersberger in St. Petersburg und Russland siehe ebd., 62f., 221f., sowie Suppan, Wakounig, Uebersberger
(wie Anm. 3) 94.
21 Vgl. dazu Leitsch, Stoy, Seminar (wie Anm. 2) u. a. 88, die Uebersberger eine übertriebene Politisierung des
Instituts/Lehrstuhls vorhalten ; ähnlich auch Andreas Kappeler, Osteuropa und Osteuropäische Geschichte
aus Züricher, Kölner und Wiener Sicht, in : Hundert Jahre Osteuropäische Geschichte. Vergangenheit, Gegen-
wart und Zukunft, hg. v. Dittmar Dahlmann (Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa 68,
Stuttgart 2005) 149–158, hier 149. Kontrastierend dazu Gerd Voigt, Rußland in der deutschen Geschichts-
schreibung 1843–1945 (Quellen und Studien zur Geschichte Osteuropas 30, Berlin 1994) 89.
22 Die Annahme, dass Liechtenstein für Uebersberger ein quasi privates Forschungsinstitut eingerichtet habe, ist
falsch und geht auf die nicht frei von Ressentiments gehaltene Meinung von Konstantin Jireček, formuliert in
seinem Tagebuch, zurück. Diesen folgen beispielsweise Leitsch, Stoy, Seminar (wie Anm. 2 ) 88.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625