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356 Gudrun Wlach
„Führergrabung“234, eine von propagandistischer Berichterstattung in den Zeitungen
begleitete Großunternehmung, war für die beiden Direktoren mit Verhandlungen auf
unterschiedlichen politischen und wissenschaftlichen Ebenen verbunden und brachte
außerdem heftige Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Kontrahenten mit
sich. Konflikte gab es zwischen dem Gau Niederdonau, der sich mit diesem Unterneh-
men kulturpolitisch profilieren wollte und eigens dafür einen äußerst kostspieligen „Son-
derdienst Carnuntum“ eingerichtet hatte, einerseits, und dem Archäologischen Institut
andererseits. Es ging vor allem um die Finanzierung, mangelnde Informationen sowie
um unseriöse Geschäftspraktiken und Misswirtschaft des Sonderdienstes. Auf der Gra-
bung selbst gab es Konflikte auch zwischen dem örtlichen Grabungsleiter Erich Swo-
boda235 und Vertretern des Denkmalamts. Hier ging es um Anschuldigungen gegen
Swoboda, die sich auf schlechte Grabungstechnik und mangelnde Beaufsichtigung der
Grabung bezogen, wodurch Funde entwendet und zum Kauf angeboten worden seien236.
In der Auseinandersetzung zwischen dem Gau Niederdonau und dem Archäologischen
Institut hat es den Anschein, als sei Praschniker diesen Machtkämpfen nicht ganz gewach-
sen gewesen. Er bemühte sich, einen offenen Bruch mit der Gauleitung zu vermeiden.
Unangenehme Ereignisse berichtete er in als privat oder vertraulich gekennzeichneten
Briefen an Schede, der von Berlin aus in das Geschehen eingriff. Durch Schedes starke
Position gelang es, das Unternehmen nominell unter die Leitung des Archäologischen
Instituts zu bringen und zu erreichen, dass auch die Geldmittel vom Institut und nicht
mehr vom Gau verwaltet wurden. Carnuntum war das bestfinanzierte Ausgrabungspro-
jekt seiner Zeit und stellte im Hinblick auf die zur Verfügung gestellten Gelder sogar die
Olympia-Grabung in den Schatten237.
100 Jahre ÖAI (wie Anm. 3) 49–60 ; Wlach, Praschniker (wie Anm. 5) 82–84 ; Wlach, Klassische Archäo-
logie (wie Anm. 183) 358f.; siehe auch Vigener, DAI (wie Anm. 93) 83f.
234 Die Bezeichnung „Führergrabung“ bezieht sich auf die Tatsache, dass für die Grabung Gelder aus Hitlers
persönlichem Dispositionsfonds zur Verfügung gestellt wurden und bildet außerdem eine Parallele zu der
Ausgrabung des AIDR 1937–1943 in Olympia, ein Prestigeobjekt, das ebenfalls aus Hitlers persönlichem
Fonds finanziert wurde. Siehe Esther Sophia Sünderhauf, „Am Schaltwerk der deutschen Archäologie“ –
Gerhart Rodenwaldts Wirken in der Zeit des Nationalsozialismus, in : JdI 123 (2008) 283–361, hier 327.
235 Swoboda (1896–1964) hatte bereits während der 1930er Jahre als freier Mitarbeiter Ausgrabungen für das
ÖAI durchgeführt. Mit 01.04.1939 wurde er an der neuen Zweigstelle Wien des AIDR angestellt und mit
der Durchführung der Grabungen in Carnuntum beauftragt. Siehe Rudolf, Pompeji (wie Anm. 233) ;
Wlach, Akteure (wie Anm. 3) 130f.
236 AÖAI, Carnuntum Allgemein, Swoboda an Egger, betr. Anschuldigungen durch Zentralstelle für Denkmal-
schutz, 21.06.1939.
237 Der Kostenvoranschlag für 1939 von 1,846.000 Millionen RM wurde zwar stark reduziert, dennoch blieb
Carnuntum ein sehr gut dotiertes Unternehmen. Vigener, DAI (wie Anm. 93) 84.
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 3
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 3
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 630
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien
Table of contents
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625