Page - 10 - in Norm und Zeremoniell - Das Etiquette-Normale für den Wiener Hof von circa 1812
Image of the Page - 10 -
Text of the Page - 10 -
EINLEITUNG10
die soziale Wirklichkeit ändern.14 Das Verhältnis der beiden Begriffe ist ein
hierarchisches, indem das Zeremoniell besonders hervorgehobene, feierliche
Rituale bezeichnet und alle anwesenden Personen betrifft.15
Bereits die Zeitgenossen setzten sich intensiv mit Form, Bedeutung und
praktischen Aspekten des höfischen Zeremoniells auseinander. Der größte
Teil der theoretischen Schriften zur Zeremonialwissenschaft entstand zwi-
schen 1690 und 1750 und befasste sich mit Ordnung, Aufbau und Gebaren
des barocken Hofes.16 Der Rückgang von Publikationen, die sich Fragen des
Zeremoniells widmeten, wird in der Regel mit dem Aufstieg einer bürger-
lich-protestantischen Ethik17 beziehungsweise einem „bürgerliche[n] Kauf-
mannsideal“ in Verbindung gebracht.18 Diese Mutmaßungen müssen jedoch
angesichts jüngster Überlegungen zur Kontinuität der höfischen Gesell-
schaft im 19. Jahrhundert einer kritischen Überprüfung unterzogen werden.
Seit dem 18. Jahrhundert kam es zu Veränderungen im Umfeld der Höfe,
auf welche diese auf spezifische Art und Weise reagierten:19 Die Verbreitung
der Aufklärung unterminierte die traditionelle Selbstdarstellung des Hofes
als Ort zeremoniell regulierter (Selbst-)Darstellung und performativer Poli-
tik und maß ihn zunehmend an Kriterien von Effizienz und Funktionalität.
Die Professionalisierung der Bürokratie stand der symbolischen politischen
Kommunikation über die Praxis des Zeremoniells diametral entgegen.20 Zu
Beginn des 19. Jahrhunderts griffen zudem neue Formen der Herrschaftsle-
gitimation um sich: Napoleon krönte sich nach einem Plebiszit zum Kaiser
der Franzosen und ernannte sowohl Familienmitglieder als auch verbündete
Herrscher zu Königen. Der römisch-deutsche Kaiser Franz II. nahm aus ei-
gener Machtvollkommenheit den Titel eines Kaisers von Österreich an und
regierte fortan als Franz I. von Österreich.
Eine augenfällige Änderung im Vergleich zum 18. Jahrhundert betraf
den semantischen Bereich: Die Bezeichnung „Etiquette“ löste den Begriff
„Zeremoniell“ ab. „Etiquette“ stand ursprünglich für besonders aufwendige
und festliche Ereignisse und wurde mit dem spanischen Hofzeremoniell in
14 Stollberg-rilinger, Zeremoniell als Verfahren, S. 94–95. dieS., Symbolische Kommuni-
kation. Zur Forschungsdiskussion vgl. büSchel, Untertanenliebe, S. 24–45, und Pangerl,
Scheutz, Winkelbauer, Zeremoniell, S. 8–11.
15 Vgl. Stollberg-rilinger, Rituale. SchWengelbeck, Politik des Zeremoniells, S. 17.
16 Vgl. bauer, Die höfische Gesellschaft, S. 4. Vec, Zeremonialwissenschaft, S. 15–137.
17 Vgl. Weber, Die protestantische Ethik.
18 Vgl. Vec, Zeremonialwissenschaft, S. 406.
19 Vgl. daniel, Höfe und Aufklärung. Einen guten Überblick über die ältere Literatur bietet
büSchel, Untertanenliebe, S. 58–90. Vgl. außerdem Möckl (Hg.), Hof und Hofgesellschaft.
PaulMann, Pomp, S. 205–214.
20 bauer, Die höfische Gesellschaft, S. 5.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN
Norm und Zeremoniell
Das Etiquette-Normale für den Wiener Hof von circa 1812
- Title
- Norm und Zeremoniell
- Subtitle
- Das Etiquette-Normale für den Wiener Hof von circa 1812
- Editor
- Karin Schneider
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20903-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 202
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. Einleitung 8
- 2. Editionsrichtlinien 25
- 3. Edition 27
- Anmerkungen 169
- 4. Glossar 171
- 5. Verzeichnis der Paragraphen 180
- 6. Abkürzungsverzeichnis 182
- 7. Bibliographie 184
- 7.1 Ungedruckte Quellen 184
- 7.2 Gedruckte Quellen 184
- 7.3 Nachschlagewerke 185
- 7.4 Literatur 186
- 8. Personenregister 194