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ETIQUETTE-NORMALE FÜR DEN ÖSTERREICHISCHEN KAISERHOF
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5. Die Brautwerbungm ist eine Hofsitte, die folgendermassen beobachtet
wird:
A. Bey der Brautwerbung für die männlichen höchsten Herrn wird ein Ca-
valier bevöllmächtiget, welcher die Braut feyerlich begehrt, und [340] zwar:
Imo Wenn die höchste Braut im Lande befindlich ist, kömmt der Brautwerber
im feyerlichen Zuge dahin, wirbt, wenn sie großjährig ist, bey Ihr selbst und
bey dem Chef des Hauses um Ihre Hand, wenn Sie minderjährig ist, bey Ih-
rem Vormunde und bey dem Chef des Hauses.
Er [er]stattet Bericht an Se Majestät von dem Resultate seiner Sendung, ist
bey Abfassung des Vermählungs-Vertrags Aktes zugegen und holt in öffent-
lichem Zuge die höchste Braut in die Trauungskirche.
Zum Brautwerber wird bey der Vermählung Sr Majestät der Erste Oberst-
hofmeister und bey den Vermählungen der übrigen Herschaften Ihre Oberst-
hofmeisters bestimmt, wenn Se Majestät nicht durch eine besondere Anord-
nung Jemand Andern diese Bestimmung geben.
2do Ist die Prinzessin in einem fremden Staate, so begiebt sich der Brautwer-
ber dahin, wirbt dort im Nahmen seines Herrn um ihre Hand und folgt ganz
dem Ceremoniel des dortigen Hofes.
B. Wenn um eine kaiserliche Prinzessin des hiesigen Hofes geworben wird,
[340’] hält der vom fremden Hofe eingeschikte Brautwerber einen feyerlichen
Einzug, nimmt bey Sr Majestät und bey allen in publico befindlichen Per-
sonen der allerhöchsten Familie Audienz, überreicht seine Vollmacht und
wirbt im Falle der Minderjährigkeit26 der Braut bey Sr Majestät, und im
Falle der Großjährigkeit bey der kaiserlichen Prinzessin um ihre Einwilli-
gung; er ist bey dem Renuntiationsakte gegenwärtig und erscheint zur Trau-
ung.
Die Renuntiation ist eine am hiesigen Hofe übliche Sitte, die darin besteht,
daß die sich vermählende kaiserliche Prinzessin auf die Ansprüche, welche
sie vermöge Ihrer Geburth auf die Erbfolge hätte, Verzicht leistet und wel-
che der Bräutigam eidlich acceptiret.n
Dieser Akt geschieht in Gegenwart der Obersten Hofämter, des Staatskanz-
lers, der Präsitenten der Hofstellen und Geheimräthe.
Se Majestät erscheinen mit der höchsten Braut in dem für diesen Akt herge-
richteten Gemache, wo Ihr der Renun-[341]tiationsakt vorgelesen, derselbe
von Ihr unterzeichnet und dessen Beobachtung von Ihr auf das von dem Erz-
bischofe vorgehaltene Evangelium beschworen wird. Gleichförmig leistet der
Bräutigam den Acceptations Eid.o
26 Vermutlich vor der Vollendung des 20. Lebensjahres, wie im Familienstatut von 1839 ange-
geben.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN
Norm und Zeremoniell
Das Etiquette-Normale für den Wiener Hof von circa 1812
- Title
- Norm und Zeremoniell
- Subtitle
- Das Etiquette-Normale für den Wiener Hof von circa 1812
- Editor
- Karin Schneider
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20903-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 202
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. Einleitung 8
- 2. Editionsrichtlinien 25
- 3. Edition 27
- Anmerkungen 169
- 4. Glossar 171
- 5. Verzeichnis der Paragraphen 180
- 6. Abkürzungsverzeichnis 182
- 7. Bibliographie 184
- 7.1 Ungedruckte Quellen 184
- 7.2 Gedruckte Quellen 184
- 7.3 Nachschlagewerke 185
- 7.4 Literatur 186
- 8. Personenregister 194