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66 Tagebücher
gewiesen, so viel ich glaube, équivalirt das eine Abweisung – das auch
noch!
[Wien] 6. dezember
meine Aufregung hat sich gestern etwas gelegt, gestern nachmittag war
ich mit gabriele bei Pillerstorff, welche verwandtschaftliche Attention sie
sehr zu freuen schien, und er, der überhaupt ein herrlicher mann ist, so
mild und ruhig, daß einem in seiner nähe ordentlich wohl wird, gab mir
den rath, welchen er auch mit Wilczek überlegt hatte, geradezu nochmals
den gouverneur um eine urlaubsverlängerung ämtlich zu bitten und dieß
gesuch mit einem Briefe zu begleiten, worin ich ihm offenherzig die gründe
auseinandersetzen würde, welche mich zu dieser Bitte bewegen, dieser
schritt, meinte er, würde den gouverneur besänftigen und mich auf je-
den fall nicht schlimmer stellen als jetzt, im gegentheile mich wenigstens
diese nächsten Tage gewinnen machen, er aber zweifle nicht, der Gouver-
neur würde mir den gebetenen urlaub ertheilen.
Jetzt da ich weiß oder wenigstens vermuthe, daß es mit meinem versu-
che, zur diplomatie zu kommen, nichts ist, wird mir dieser Aufschub haupt-
sächlich dazu nützen, daß ich Zeit gewinnen werde, mich zu fassen und
mit ruhiger überlegung einen entscheidenden schritt zu machen, und ich
denke, ebendeßhalb Pillerstorff’s rath zu befolgen, nur will ich mich vorher
auch noch mit Wilczek besprechen.
Bei ottenfels bin ich mit vorbedacht noch nicht gewesen, weil von dem
Augenblicke an, da er mir des fürsten abschlägige Antwort (wie ich vermu-
the) mitgetheilt haben wird, diese unwiderruflich wird, und ich doch noch
früher versuchen will, durch Wilczek oder sonst irgend eine intercession
etwas zu erlangen, denn Wilczek hat den fürsten metternich seit jener
Zeit, da ich ihn zum erstenmale sprach, gar noch nicht gesehen. mir macht
das wahrscheinliche, ja beinahe gewisse scheitern meiner diplomatischen
Pläne keinen besonders unangenehmen eindruck, erstens, weil diese über-
haupt immer nur, wie schon gesagt, eine Art von transaction mit meinen
anderweitigen großen Plänen waren, und dann, weil, wie ich erst diese tage
erfuhr, meine gegenwärtige haupt-idee, nämlich eine brillante heirath zu
machen, sich mit denselben nicht vereinigen läßt, indem man in den un-
teren diplomatischen Anstellungen durchaus keine verheiratheten leute
will, und ich daher in einem solchen falle ohne Weiters austreten müßte.
Die Alternative, in der ich mich befinde, ist daher gegenwärtig: nach Pi-
sino zu gehen und von dort aus meine transferirung in ein anderes gouver-
nement, z.B. nach mähren, oder aber in einigen monaten durch gabriellens
Einfluß als Hofconcipist zur Kanzlei des Erzherzog Rainer einzutreten, da
ich aber vom kaiser ins küstenland ernannt worden bin, so kann eine an-
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume I
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- I
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 744
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien