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Jänner 1840
letzthin habe ich durch Juritsch erfahren, daß mein urlaubsgesuch vom
triester gouvernement abgewiesen worden ist, obwol ich dieß nun nicht
erwartet hätte, sondern glaubte, sie würden es jedenfalls hieher an die hof-
kanzlei vorlegen, so hat es doch nicht viel auf sich, denn bis ich dem schlep-
penden geschäftsgange nach die Zustellung erhalte, werden noch mehrere
tage vergehen, und auf eine oder die andere Art werde ich meine Abreise
so en lorgneur zu trainiren wissen, daß es ungefähr doch darauf hinaus
kommen wird, um was ich Anfangs bat, nämlich bis gegen den 20. Jänner
hier bleiben zu dürfen.
mittlerweile aber war ich und zwar am 27. bei mittrowsky, welcher mich
sehr freundlich empfing (ich hatte aber auch die Vorsicht gebraucht, in Uni-
form zu kommen), von meinem langen Ausbleiben gar nichts wußte, und als
ich dann selbst darauf zu sprechen kam, um ihm mein urlaubsgesuch, wel-
ches, wie ich damals noch glaubte, an ihn kommen würde, zu empfehlen, ver-
sprach er mir das Beste, ich rechtfertigte es durch familienrücksichten und
vermögensgeschäfte, die ich hier abzuthun hätte. ebenso freundlich waren
inzaghy und fölsch, welcher letztere sogar es für eine ungerechtigkeit an-
zusehen schien, daß Weingarten mich nach Pisino schickt, worüber ich aber
im grunde herzlich froh bin. überhaupt bedauert mich Alles darüber, und
schon dadurch ist viel gewonnen. so auch Wilczek, der mir nebstdem auch
neuerlich sagte, fürst metternich werde nichts für mich thun, da ich nach
seinen eigenen Ausdrücken ihm nie gefallen habe. da ist denn also ein eiser-
ner riegel vorgeschoben, ich aber betrachte diese Abneigung als eine Art der
Herausforderung. Wer weiß, wer von uns Beiden dem Andern empfindlicher
wird beikommen können. seine erborgte glorie und sein jesuitisches gesicht
haben mir ohnehin nie zugesagt und noch weniger jemals imponirt.
[Wien] 4. Jänner 1840
mir wird manchmal, wenn ich so über mich selbst nachdenke und die klein-
lichen occupationen, geschäftigkeiten und gedanken der hiesigen soi-
disante großen Welt, in die ich jetzt malgré moi kopfüber versunken bin
(nämlich einladungen, visiten, langweilige blitzdumme salons etc.), auch
einen Augenblick abschüttle, angst und bang um mich selber. über sol-
chen kleinen Préoccupations geht der geist des menschen unter, und ich
befürchte wirklich zuweilen, ein gleiches geschehe eben jetzt mit mir. daß
mich so gar niemand hier um mich versteht! ist es meine schuld oder die
der leute um mich her? Je mehr ich mich unter ihnen herumbewege, de-
sto sonderbarer komme ich mir selbst vor und desto chimärischer meine
Pläne, welche ich aber deßhalb nicht weniger liebe und mit nicht gerin-
gerer entschlossenheit ins Auge fasse. nur sehe ich um so besser ein, wie
sehr verschieden ich von Allen um mich herum bin, und wie viel weiter
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume I
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- I
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 744
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien