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September 1840
aber macht mir diese Art zu reisen gerade jetzt, wo es eine Art von inco-
gnito lustreise ist, spaß.
in Airolo wurden wir zu meinem großen Ärger und durch die über alle
Begriffe schlechten Anstalten lange aufgehalten, erst war am Wagen (wir
bekamen Alle leichte Wägelchen) zu richten und zu schmieden, dann kam
das Brieffelleisen nicht, dann der conducteur etc. endlich um 5 uhr fuhren
wir ab.
gleich von Airolo aus geht die straße längs des ersten Bergrückens in den
felsen gehauen im Zickzack beinahe eine stunde lang hinauf, so daß man
diese ganze Zeit hindurch immer im Angesicht von Airolo bleibt; wie man
oben ist, kommt man bald über Alpenebenen mit einzelnen châlets hie und
da und manchmal auch einen Arm des ticino, welcher hier oben entspringt,
neben sich und mehrere mitunter sehr schöne Wasserfälle; nach und nach
hört alle vegetation auf, und hier wurde es auch nacht, so daß ich vom Weg
wenig mehr sah; dazu fing es an, entsetzlich zu regnen; übrigens biethet der
Weg von hier an, wie man mir sagte, keine besonderen Schönheiten dar; auf
dem gipfel fanden wir etwas, jedoch nur wenig schnee und hier und da zer-
streut einige Wirthshäuser; vom Gipfel an goß es noch etwa 1 1/2 Stunden
abwärts nach hospital,1 wo wir um 9 ankamen und übernachteten; es war
im grund eine halsbrecherische fahrt zu dieser stunde, in diesem Wetter,
ohne laternen und, wie ich erst in hospital erfuhr, ohne conducteur, denn
dieser war aus Bequemlichkeit oben zurück geblieben; saubere Anstalten!
der Wirth oder, wie wir dann später erfuhren, oberkellner in hospital, ein
junger Bursche, war über die maßen arrogant und impertinent mit Allen
ausgenommen mit mir.
der Piemontese hatte den ganzen Weg von Airolo her zu fuß gemacht,
worüber sein französischer compagnon über die maßen unruhig war, als
wir ohne ihn nach hospital kamen, da er glaubte, er habe den Weg verfehlt
und so den Wagen verpaßt; aber er kam dann mit dem 2. Wagen nach, wel-
cher ihn kurz vor hospital aufgenommen hatte. ich schlief in einer kleinen,
eiskalten stube ziemlich schlecht, und tags darauf gegen 1/2 7 fuhren wir
weiter; der Baron, Herr von Frank und ich in einem Wagen; leider war das
Wetter noch immer abscheulich, und regnete ohne unterlaß, so daß wir die
Spitzen der Berge nicht sehen konnten; die Straße ist übrigens von hier an
ein wahres Wunderwerk menschlicher kunst, zuerst kommt Andermatt,
auf einer hochebene dann das urnerloch, eine in den felsen gehauene gal-
lerie als durchfahrt, wie bey Belluno, chiavari etc. gleich darauf ist der
berühmte prachtvolle fall der reuss mit einem unbeschreiblichen getöse
und in einer fast unabsehbaren Tiefe; gerade über denselben ist die Teu-
1 richtig hospental.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume I
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- I
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 744
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien