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September 1840
uns (großer lärmender Beifall), und in diesem train ging es fort zu großem
diplomatischen Ärger Franks; dazwischen feuerten bey jedem neuen Toast
die kanonen. Auf der rückfahrt wurde viel von Politik und den Zuständen
der schweitz gesprochen. ehlger ist von der aristocratischen, in luzern
unterlegenen Parthey, jedoch gemäßigt und uns österreichern gegenüber
noch immer ein sans-culotte.
heute ist frank fort und auch der preußische Baron, der bey der ge-
sandtschaft in Cassel ist; es wurde mir in der letzten Zeit sehr sauer, mein
incognito zu bewahren, denn da ich frank noch im eilwagen, und zwar
auf seine eigene frage und um ihn über meinen nahmen zu täuschen, zu-
gegeben hatte, ich sey militär, so setzten er und ehlger mir nun die dau-
menschrauben an, und letzterer als selbst soldat verwickelte mich in mi-
litärische Gespräche, aus denen ich mich aber so gut als möglich zog; im
grunde hätte ich besser gethan, da ich mich ein mal nicht bekannt geben
wollte wegen Gräfin Bombelles und Lottum, Luzern bald zu verlassen, um
so jeder näheren Berührung mit Frank auszuweichen; denn obwohl er bis
jetzt keine Ahnung hat, wer ich sey (was ihn interessirt hätte, da er mei-
nen nahmen hundert mal von Bombelles und lützow gehört haben wird),
so werden wir doch ohne Zweifel über kurz oder lang irgendwo zusammen
treffen, und dann wird er erfahren, wenn er es nicht früher durch einen je-
ner tausend Zufälle erfährt, daß ich ihm ein X für ein U gemacht habe; ich
habe ihm zwar keinen falschen nahmen genannt, sondern nur gemieden,
ihm meinen wahren zu nennen, aber selbst dieses muß seine neugierde
und, wenn er ihn erfährt, seine conjecturen erregen, ein Beweis mehr, daß
das Lügen nie gut ist. Enfin la sottise est faite.
heute früh machte ich eine promenade nach dem grietsch, ein herrlich
gelegenes landhaus auf einem hohen hügel oberhalb luzern mit einer su-
perben Aussicht nach allen 4 Seiten; weil ich aber im Hinaufsteigen den
Weg nicht fand, mußte ich auf dem nassen und schlüpfrigen grase beinahe
à pic hinauf klettern, wobey ich oft auf allen vieren kroch und mich an den
sträuchern hinaufzog, eine halsbrecherische tour, aber wie ich ein mal im
steigen war, konnte ich nicht mehr zurück. da ich mich nun hier ennuyire,
werde ich wahrscheinlich morgen nach Zürch abfahren und vielleicht von
da einen Ausflug nach Baden im Aargau machen; von Zürch gehe ich dann
über chur und den splügen nach hause, wo ich sonntag den 4. oktober
früh eintreffen werde.
Zürch 30. september
Gestern um 12 Uhr Mittags fuhr ich mit dem Eilwagen von Luzern ab; ich
fuhr sehr bequem ganz wie in meinem eigenen Wagen, da wir nur 3 Per-
sonen waren, wovon einer hinten im Coupé saß; ich saß daher Anfangs im
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume I
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- I
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 744
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien