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100 Tagebücher
cabriolet, und dann setzte ich mich in den Wagen, wo ich fast die ganze
Reise über las; der ganze Weg war charmant, wie durch einen englischen
Park, besonders in den Kantonen Luzern und Zürch; alle Augenblicke eine
andere Parthie hügel, Wasser in menge, Wiesen, Bäume und dazwischen
die deliziösen Schweitzer Bauernhäuser; wir fuhren über Sies, Kronau, wo
wir Pferde wechselten, und den ütliberg. nach 7 uhr waren wir in Zürch,
wo ich wieder im Hotel Bauer abstieg; ich befinde mich da sehr comfortable,
und es thut mir leid, daß ich das langweilige luzern und den ziemlich bour-
geoisen Gasthof dort nicht früher mit dem hiesigen vertauscht habe; man
ist hier so ganz excellent und hat u.a. einen salon de lecture im hotel mit
Journalen, Zeitschriften und einer kleinen aber sehr gewählten Bibliothek;
das ist für mich ein großes agrément, auch werde ich meiner confortomanie
und eigentümlichen reisemaniren getreu nicht nach Baden gehen, sondern
morgen noch hier bleiben und tags darauf mit dem eilwagen nach chur
und wieder Tages darauf von da weiter nach Hause fahren; ich hätte die
übermorgige reise gern mit den dampfschiffen auf den Zürcher und Wal-
lenstädter seen gemacht, aber mit dem 1. oktober, also morgen, hört die
correspondenz derselben mit den eilwägen auf. mein reisen besteht wirk-
lich nur in einem Jagen nach bequemen gasthäusern, canapés und kami-
nen, dabei sieht man nicht viel, führt aber ein comfortables, behagliches
beschauliches Leben, et celà me suffis.
heute war ich in der gemälde-Ausstellung in dem neuen spital-gebäude
oberhalb der Stadt an der Straße nach Winterthur; fast durchgehends Land-
schaften, darunter einige magnifique von Calame, Diday etc., und meistens
genfer maler, auch waren 3 stücke von frank, wirklich recht hübsch, da,
die ich ihm hatte versprechen müssen, falls ich her käme, anzusehen.
in der Buchhandlung grell und führte wühlte ich wieder comme de cou-
tume herum, fand aber nicht viel gescheidtes, ebenso wenig als bey mayer
in luzern. da hat mein tendler und schäffer in mailand ebensoviel, wenn
nicht mehr.1
Ich hatte eine geheime Hoffnung, hier Gräfin Lottum zu finden oder doch
etwas von ihr zu erfahren, sie ist aber nicht hier, das erfuhr ich auf der Post.
noch hatte ich eine kleine bonne fortune mit einer hübschen restaurateurs-
tochter im theater gebäude, an der Alles schön war bis auf die Zähne.
[Zürich] 1. oktober
Zürch hebt sich wirklich auffallend; seit dem vorigen Jahr ist wieder eine
menge neuer häuser und neuer Anlagen entstanden, zudem herrscht hier
1 die Wiener Buchhandlung und verlag tendler & schäfer [sic], seit 1846 wieder (wie bereits
von 1819–1838) tendler & co., hatte von 1840–1852 eine filiale in mailand.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume I
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- I
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 744
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien