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Jänner 1841
ermüdenderes geben, als diese kleinen Bälle; und mich amusirt das allge-
meine erstaunen über mein nichtgeladenseyn, was aber auch wirklich auf-
fallend ist.
ich bin noch immer unentschlossen, ob ich nach Wien gehen werde oder
nicht, dieser schnee und die grimmige kälte découragiren mich, und dann
ginge ich gern in den fasten nach rom und neapel, auf der anderen seite
aber fürchte ich, daß, wenn ich mein Projeckt aufschiebe, mittlerweilen Au-
gust lobkowitz wie man spricht als gouverneur hieher kommen könnte, und
ich somit den einzigen appui in Wien verlöhre, von welchem ich theilnahme
und unterstützung für mein vorhaben, nach süd Amerika und zwar wo-
möglich auf Staatskosten zu reisen, erwarten könnte; diese Unschlüssigkeit
peinigt mich sehr; andererseits, d.h. wenn die Furcht wegen Lobkowitz nicht
wäre, wäre es glaube ich jedenfalls besser, diese reise auf das kommende
Jahr zu verschieben, weil ich da erstens besser vorbereitet und dann schon
länger in Mailand wäre; jetzt, fürchte ich, würden mir manche meiner Pro-
jeckte blos als unruhe und jugendlicher übermuth ausgelegt werden, be-
sonders da ihnen meine echapées von seiner Zeit noch frisch im Andenken
sind; das soll aber nicht seyn; um ihre Achtung und Mitwirkung zu erwer-
ben, muß ich ihnen als gereifter mann und mein vorhaben als ein klar und
reiflich durchdachtes erscheinen. das ist aber das unglück in österreich,
daß man noch viel länger für jung gehalten wird, als man es wirklich ist.
[mailand] 13. Jänner
Gestern war Hofball; recht hübsch und ziemlich animirt; ich tanzte fast gar
nicht und widmete fast den ganzen Abend dem langweiligen geschäfte des
Bekanntschaftenmachens und Erneuerns; zu diesen letzteren gehörte na-
mentlich gräfin sormani-verri und oldofredi-terzi, welche letztere eine
ganz deliziöse amusante junge Frau ist; zu den ersteren Borromeo-Litta,
litta-trotti, taverna-greppi etc. komisch fand ich den ton de conversation
der meisten dieser frauen, welche im übrigen ganz unexceptionable, den
einzigen fehler haben, daß man es ihnen ansieht, eine neue Bekanntschaft
sey ihnen etwas ganz Ungewöhnliches und Embarrassantes; ihr Leben be-
wegt sich, wenigstens so lange sie in mailand leben, in einem so engen kreis
von Bekannten, daß sie sobald sie mit einem Andern in Berührung kom-
men, ganz aus ihrer assiette fallen, die einen sind verlegen, antworten nur
Ja oder nein, die Anderen sind recht aimable, rufen aber urplötzlich ihren
mann oder liebhaber herbey, um ihn für die augenblickliche einem frem-
den gewährte Aufmerksamkeit zu entschädigen. heute habe ich meinen er-
sten kammerherrendienst bey hofe.
letzthin war ich bey einer der phrenologischen vorlesungen welche mr.
Castle regelmäßig bey Neipperg hält; diese sind ganz in der gewöhnlichen
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume I
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- I
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 744
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien