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März 1841
scheint und mir alle die gefahren und unannehmlichkeiten einer solchen
liaison für ihre tochter vorstellte, etc. ich antwortete, was man in solchen
momenten gewöhnlich antwortet, und sagte, daß ich nicht wollte, daß diese
liaison blos im interesse sondern in der wahren Zuneigung ihrer tochter zu
mir ihren grund habe, und daß ich daher vorläufig einige Zeit ihre tochter
kennen zu lernen wünsche, um zu sehen, ob sie mich lieb gewinnen werde
oder nicht.
nun aber nachdem das in ordnung ist, bin ich ordentlich agitirt und kann
den gedanken nicht los werden, was soll daraus werden? was soll ich thun?
mir ist das mädchen wirklich und ernstlich ans herz gewachsen, sie ist gar
so hübsch, lieb, herzig und kindlich, kurz ich weiß nicht wie es kommt, aber
ich bin beinahe in sie verliebt; zudem glaube ich, daß eine solche ruhige li-
aison mit einer Person, die einem aufrichtig zugethan ist, wirklich sehr viel
angenehmes haben muß; endlich sind Alle, die nebst mir in der Gouverneurs
loge sitzen, d.h. die ganze männliche societät von mailand, Zeuge meiner
Augenverdrehungen gewesen, und kennt daher wo nicht den ganzen, doch
den größten Theil meines Romans mit der Pirovano; wenn ich nun plötzlich
ohne allen grund aufhöre, was soll das heißen? es wäre eine inconsequenz,
wegen der ich mich so vor mir selber, vor ihnen und vor dem ganzen corps
de ballet schämen müßte; das sind die Gründe pro; nun kommen die contra;
wie soll eine solche liaison enden? so sehr sie mir jetzt gefällt, so ist es doch
nicht wahrscheinlich, daß sie mir sehr lange gefallen wird; und nach den
reden ihrer mutter will sie sich nicht anders als in der hoffnung auf eine
lange fortgesetzte liaison einlassen, und hat im Grunde auch Recht; eine sol-
che schadet ihrem rufe nach hiesigen Begriffen durchaus nicht. und soll
ich mir auf lange Zeit die Hände binden? Das auf keinen Fall; und doch, wie
mache ich mich dann ohne das arme mädchen zu kränken los? ein anderer
Anstand ist, daß das alle meine übrigen gegenwärtigen Projeckte contrecar-
rirt; denn fange ich diese liaison an, so ist es mit meinen Reise-Projeckten
nach Rom und Neapel aus; und was ich mehr als Alles Andere fürchte, ist,
daß eine solche liaison und die alltäglichen erbärmlichkeiten derselben mich
aus den regionen meiner höheren gedanken und Projeckte hinabziehen und
mich nach und nach dazu bringen könnten, auf diese zu vergessen, um ganz
meiner madame als gewohnheitsthier zu leben, wie ich es hier bey so vielen,
z.B. bey den sonst so distinguirten moritz und felix Woyna sehe, die nun für
nichts mehr leben als für ihre bereits veralteten flammen.
kurz, es drängen sich in mir die gedanken jeder Art, und ich weiß nicht
was ich thun soll; soviel weiß ich bis jetzt, daß mir die Kleine sehr, sehr gut
gefällt, daß mich aber ihre Appartmention [sic], die lange, hagere, interes-
sirte mutter und die armseligen, nackten 4 Wände, worin nicht ein mal ein
Canapé zu sehen ist, höchst unangenehm choquiren; diesem letztern Übel-
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume I
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- I
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 744
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien