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Tagebücher154
gewöhnt man sich leichter, als an ein ruhiges, einförmiges leben, und die
erinnerung an überstandenes leid ist auch eine angenehme.
um 11 uhr versetzte ich mich in volle uniform, holte karaczonji ab, wel-
cher mich etwas warten ließ, und fuhr dann zu Lützow; wir fuhren dann
alle zusammen in den vatican, der Botschafter voraus, vz. Auersperg, goës,
Wenkheim, karaczonji, litta, welcher dem Papste Plan und medaille für die
neue carlskirche in mailand zu übergeben hatte, da er morgen auf urlaub
geht, und ich; wir kamen durch eine Unzahl Zimmer, in denen allen eine
menge garden etc. standen, bis in das vorzimmer des Papstes, zu welchem
lützow gleich hinein ging, und ungefähr nach einer viertelstunde wurden
wir durch den maestro di camera, einem geistlichen, sämmtlich hineinge-
lassen, wo uns Lützow einen nach den Anderen dem heiligen Vater nannte;
dieser war in eine weiße Benedictiner kutte gekleidet mit einem weißen
Käppchen und stand oder lehnte an seinem Schreibtische; wir nahten mit
einer kniebeugung, nahmen mit der entblößten hand seine rechte und
küßten sie; er empfing uns mit großer Lebhaftigkeit, nannte mehrmals ei-
nes Jeden nahmen und schwätzte dann in einem fort von den functionen,
vom Wetter, von den vielen fremden, etc., so daß wir so gut wie gar nicht
zu Worte kamen, bis er uns entließ, worauf der Botschafter für uns sämmt-
lich um den päpstlichen segen bath, den wir auch niederkniend in aller ge-
schwindigkeit erhielten; darauf entfernten wir uns mit einem nochmaligen
Handkusse; mit uns war auch der Postdirector von Toscana, Cavaliere Pi-
stoj. Weder die Audienz noch die Person des Papstes hatte das geringste im-
posante oder Solemnette an sich; er erschien mir ganz wie ein gutmüthiger,
redseliger dorfpfarrer.
nach hause gekommen, zog ich mich um, machte einige nothwendige
gänge in der stadt, besuchte dann das Atelier des berühmten mahlers Pode-
sti, wo ich aber nur angefangene Bilder fand; dann gerieht ich durch ein Qui
pro quo in die gallerie des malers camuccini statt in dessen Atelier, wo ich
einige hübsche Bilder von alten meistern sah.
Abends machte ich eine visite bey lützow, die ich ganz en famille und blos
den preußischen Envoyé, Graf Brühl, da fand; hierauf ging ich zu Litta hin-
unter und fuhr mit ihm in ein concert der Accademia filarmonica, wo es zum
Erdrücken voll war; man sang sehr hübsch, und es gab eine Menge schöne
Gesichter; eine spaßige Geschichte gab es gleich Anfangs mit einem alten
narren, der sich mit gewalt durch das gedränge durcharbeiten wollte, so
daß alle damen auf die Bänke stiegen, um den spectakel zu sehen.
[rom] 6. April
heute früh um 7 uhr hatte ich mit hans k[olowrat], kar[aczonji] und Be-
renji verabredet, uns im caffé du bon gout zu treffen und dann nach tivoli
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume I
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- I
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 744
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien