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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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Mächten garantiert, und dazwischen lebte man behaglich und streichelte seine kleinen Sorgen wie gute, gehorsame Haustiere, vor denen man sich im Grunde nicht fürchtete. Immer darum, wenn mir der Zufall eine alte Zeitung aus jenen Tagen in die Hände spielt und ich die aufgeregten Artikel lese über eine kleine Gemeinderatswahl, wenn ich die Burgtheaterstücke mit ihren winzigen Problemchen mir zurückzuerinnern suche oder die unproportionierte Erregung unserer jugendlichen Diskussionen über im Grund belanglose Dinge, muß ich unwillkürlich lächeln. Wie liliputanisch waren alle diese Sorgen, wie windstill jene Zeit! Sie hat es besser getroffen, jene Generation meiner Eltern und Großeltern, sie hat still, gerade und klar ihr Leben von einem bis zum andern Ende gelebt. Aber dennoch, ich weiß nicht, ob ich sie darum beneide. Denn wie jenseits haben sie damit von allen wahrhaften Bitternissen, von den Tücken und Mächten des Schicksals dahingedämmert, wie vorbeigelebt an all jenen Krisen und Problemen, die das Herz zerdrücken, aber zugleich großartig erweitern! Wie wenig haben sie gewußt durch ihr Verhaspeltsein in Sicherheit und Besitz und Behaglichkeit, daß Leben auch Übermaß und Spannung sein kann, ein ewiges Überraschtsein und aus allen Angeln Gehobensein; wie wenig in ihrem rührenden Liberalismus und Optimismus haben sie geahnt, daß jeder nächste Tag, der vor dem Fenster graut, unser Leben zerschmettern kann. Selbst in ihren schwärzesten Nächten vermochten sie sich nicht auszuträumen, wie gefährlich der Mensch werden kann, aber ebensowenig auch, wieviel Kraft er hat, Gefahren zu überstehen und Prüfungen zu überwinden. Wir, gejagt durch alle Stromschnellen des Lebens, wir, gerissen aus allen Wurzeln unseres Verbundenseins, wir, immer neu beginnend, wo wir an ein Ende getrieben werden, wir, Opfer und doch auch willige Diener unbekannter mystischer Mächte, wir, für die Behaglichkeit eine Sage geworden ist und Sicherheit ein kindlicher Traum, – wir haben die Spannung von Pol zu Pol und den Schauer des ewig Neuen bis in jede Faser unseres Leibes gefühlt. Jede Stunde unserer Jahre war dem Weltgeschick verbunden. Leidend und lustvoll haben wir weit über unsere kleine Existenz hinaus Zeit und Geschichte gelebt, während jene sich in sich selber begrenzten. Jeder einzelne darum von uns, auch der Geringste unseres Geschlechts, weiß heute tausendmal mehr von den Wirklichkeiten als die Weisesten unserer Ahnen. Aber nichts war uns geschenkt; wir haben voll und gültig den Preis dafür gezahlt. 28
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Title
Die Welt von Gestern
Subtitle
Erinnerungen eines Europäers
Author
Stefan Zweig
Date
1942
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
320
Keywords
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Category
Biographien

Table of contents

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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