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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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Wieder in der Welt Drei Jahre, 1919, 1920, 1921, die drei schwersten Nachkriegsjahre Österreichs, hatte ich nun eingegraben in Salzburg gelebt, eigentlich schon die Hoffnung aufgebend, jemals wieder die Welt zu sehen. Der Zusammenbruch nach dem Kriege, der Haß im Auslande gegen jeden Deutschen oder deutsch Schreibenden, die Entwertung unserer Währung war so katastrophal, daß man sich im voraus bereits damit abgefunden hatte, sein Leben lang festgebannt zu bleiben an seine enge heimatliche Sphäre. Aber alles war besser gekommen. Man aß sich wieder satt. Man saß unbehelligt an seinem Schreibtisch. Es war nicht geplündert worden, es gab keine Revolution. Man lebte, man spürte seine Kräfte. Sollte man nicht doch wieder die Lust seiner jungen Jahre erproben und in die Ferne fahren? An weite Reisen war noch nicht zu denken. Aber Italien lag nahe, nur acht oder zehn Stunden weit. Sollte man es wagen? Als Österreicher galt man drüben als der ›Erbfeind‹, obwohl man selbst nie so gefühlt. Sollte man sich unfreundlich abweisen lassen, an den alten Freunden vorbeigehen müssen, um sie nicht in eine peinliche Lage zu bringen? Nun, ich wagte es und fuhr eines Mittags über die Grenze. Abends kam ich in Verona an und ging in ein Hotel. Man reichte mir den Meldezettel, ich trug mich ein; der Portier überlas das Blatt und staunte, als er unter der Rubrik Nationalität das Wort ›Austriaco‹ las. »Lei è Austriaco?« fragte er. Wird er mir jetzt die Tür weisen,dachte ich. Aber als ich bejahte, jubelte er beinahe. »Ah, che piacere! Finalmente!« Das war der erste Gruß und eine neuerliche Bestätigung des schon im Krieg empfundenen Gefühls, daß die ganze Haßpropaganda und Verhetzung nur ein kurzes intellektuelles Fieber erzeugt, im Grunde aber nie die wirklichen Massen Europas berührt hatte. Eine Viertelstunde später kam dieser wackere Portier eigens noch in mein Zimmer, um nachzusehen, ob für mich alles gut besorgt sei. Er lobte begeistert mein Italienisch, und wir schieden mit herzlichem Händedruck. Am nächsten Tage war ich in Mailand; ich sah wieder den Dom, schlenderte durch die Galleria. Es war wohltuend, die geliebte vokalische Musik des Italienischen zu hören, sich so sicher in allen Straßen zurechtzufinden und die Fremdheit als etwas Vertrautes zu genießen. Im Vorübergehen sah ich bei einem der großen Gebäude die Aufschrift ›Corriere della Sera‹. Plötzlich fiel mir ein, daß hier in der Redaktion mein alter Freund G. A. Borgese in führender Stellung sei, Borgese, in dessen Gesellschaft ich – zusammen mit Graf Keyserling und Benno Geiger – in Berlin und Wien manchen geistig beschwingten Abend verbracht. Einer der besten und 224
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Title
Die Welt von Gestern
Subtitle
Erinnerungen eines Europäers
Author
Stefan Zweig
Date
1942
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
320
Keywords
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Category
Biographien

Table of contents

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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