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holen, wenn sie nicht sofort aufhörten, schlimm zu sein. Noch als Gymnasiast
wurde uns, wenn wir eine schlechte Note in irgendeinem nebensächlichen
Gegenstand nach Hause brachten, gedroht, man werde uns aus der Schule
nehmen und ein Handwerk lernen lassen – die schlimmste Drohung, die es in
der bürgerlichen Welt gab: der Rückfall ins Proletariat –, und wenn junge
Menschen im ehrlichsten Bildungsverlangen bei Erwachsenen Aufklärung
über ernste zeitliche Probleme suchten, wurden sie abgekanzelt mit dem
hochmütigen »Das verstehst du noch nicht«. An allen Stellen übte man diese
Technik, im Hause, in der Schule und im Staate. Man wurde nicht müde, dem
jungen Menschen einzuschärfen, daß er noch nicht ›reif‹ sei, daß er nichts
verstünde, daß er einzig gläubig zuzuhören habe, nie aber selbst mitsprechen
oder gar widersprechen dürfe. Aus diesem Grunde sollte auch in der Schule
der arme Teufel von Lehrer, der oben am Katheder saß, ein unnahbarer
Ölgötze bleiben und unser ganzes Fühlen und Trachten auf den ›Lehrplan‹
beschränken. Ob wir uns in der Schule wohl fühlten oder nicht, war ohne
Belang. Ihre wahre Mission im Sinne der Zeit war nicht so sehr, uns
vorwärtszubringen als uns zurückzuhalten, nicht uns innerlich auszuformen,
sondern dem geordneten Gefüge möglichst widerstandslos einzupassen, nicht
unsere Energie zu steigern, sondern sie zu disziplinieren und zu nivellieren.
Ein solcher psychologischer oder vielmehr unpsychologischer Druck auf
eine Jugend kann nur zweierlei Wirkung haben: er kann lähmend wirken oder
stimulierend. Wie viele ›Minderwertigkeitskomplexe‹ diese absurde
Erziehungsmethode gezeitigt hat, mag man in den Akten der
Psychoanalytiker nachlesen; es ist vielleicht kein Zufall, daß dieser Komplex
gerade von Männern aufgedeckt wurde, die selbst durch unsere alten
österreichischen Schulen gegangen. Ich persönlich danke diesem Druck eine
schon früh manifestierte Leidenschaft, frei zu sein, wie sie in gleich
vehementem Ausmaß die heutige Jugend kaum mehr kennt, und dazu einen
Haß gegen alles Autoritäre, gegen alles ›von oben herab‹ Sprechen, der mich
mein ganzes Leben lang begleitet hat. Jahre und Jahre ist diese Abneigung
gegen alles Apodiktische und Dogmatische bei mir bloß instinktiv gewesen,
und ich hatte schon vergessen, woher sie stammte. Aber als einmal auf einer
Vortragsreise man den großen Hörsaal der Universität für mich gewählt hatte
und ich plötzlich entdeckte, daß ich von einem Katheder herab sprechen
sollte, während die Hörer unten auf den Bänken genau wie wir als Schüler,
brav und ohne Rede und Gegenrede saßen, überkam mich plötzlich ein
Unbehagen. Ich erinnerte mich, wie ich an diesem unkameradschaftlichen,
autoritären, doktrinären Sprechen von oben herab in all meinen Schuljahren
gelitten hatte, und eine Angst überkam mich, ich könnte durch dieses
Sprechen von einem Katheder herab ebenso unpersönlich wirken wie damals
unsere Lehrer auf uns; dank dieser Hemmung wurde diese Vorlesung auch die
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Die Welt von Gestern
Erinnerungen eines Europäers
- Title
- Die Welt von Gestern
- Subtitle
- Erinnerungen eines Europäers
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1942
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 320
- Keywords
- Biographie, Litertaur, Schriftsteller
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 5
- Die Welt der Sicherheit 10
- Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
- Eros Matutinus 56
- Universitas vitae 74
- Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
- Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
- Über Europa hinaus 135
- Glanz und Schatten über Europa 145
- Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
- Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
- Im Herzen Europas 189
- Heimkehr nach Österreich 208
- Wieder in der Welt 224
- Sonnenuntergang 240
- Incipit Hitler 263
- Die Agonie des Friedens 286