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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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Es war, als ob Napoleon auf dem Schlachtfelde einem jungen Sergeanten das Ritterkreuz der Ehrenlegion anheftete. Dies scheint an sich eine kleine, belanglose Episode. Aber man muß Wiener und Wiener jener Generation sein, um zu verstehen, welchen Ruck nach oben diese Förderung bedeutete. Ich war damit in meinem neunzehnten Jahr über Nacht in eine Prominentenstellung aufgerückt, und Theodor Herzl, der mir von dieser ersten Stunde an gütig zugetan blieb, nutzte gleich einen zufälligen Anlaß, um in einem seiner nächsten Aufsätze zu schreiben, man solle in Wien nicht an eine Dekadenz der Kunst glauben. Im Gegenteil, es gebe neben Hofmannsthal jetzt eine Reihe junger Talente, von denen das Beste zu erwarten sei, und er nannte an erster Stelle meinen Namen. Ich habe es immer als besondere Auszeichnung empfunden, daß es ein Mann von der überragenden Bedeutung Theodor Herzls war, der als erster für mich öffentlich an einer weithin sichtbaren und darum verantwortungsvollen Stelle eingetreten ist, und es war für mich ein schwerer Entschluß, mich – scheinbar in Undank – nicht, wie er es gewünscht hätte, tätig und sogar mitführend seiner zionistischen Bewegung anschließen zu können. Aber eine rechte Bindung wollte mir nicht gelingen; mich befremdete vor allem die heute wohl nicht mehr vorstellbare Art der Respektlosigkeit, mit der sich gerade die eigentlichen Parteigenossen zu Herzls Person stellten. Die östlichen warfen ihm vor, er verstünde nichts vom Judentum, er kenne ja nicht einmal seine Gebräuche, die Nationalökonomen betrachteten ihn als Feuilletonisten, jeder hatte seinen eigenen Einwand und nicht immer der respektvollsten Art. Ich wußte, wie sehr gerade damals vollkommen ergebene Menschen und besonders junge Menschen Herzl wohlgetan und notgetan hätten, und der zänkische, rechthaberische Geist dieses ständigen Opponierens, der Mangel an redlicher, herzlicher Subordination in diesem Kreise entfremdete mich der Bewegung, der ich mich nur um Herzls willen neugierig genährt hatte. Als wir einmal über dies Thema sprachen, gestand ich ihm offen meinen Unmut über die mangelnde Disziplin in seinen Reihen. Er lächelte etwas bitter und sagte: »Vergessen Sie nicht, wir sind seit Jahrhunderten an das Spielen mit Problemen, an den Streit mit Ideen gewöhnt. Wir Juden haben ja seit zweitausend Jahren historisch gar keine Praxis, etwas Reales in die Welt zu setzen. Die unbedingte Hingabe muß man erst lernen, und ich selbst habe sie noch heute nicht erlernt, denn ich schreibe noch immer zwischendurch Feuilletons und bin noch immer Feuilletonredakteur der ›Neuen Freien Presse‹, während es meine Pflicht wäre, keinen Gedanken außer dem einen zu haben, keinen Strich für irgend etwas anderes auf ein Blatt Papier zu tun. Aber ich bin schon unterwegs, mich da zu bessern, ich will die unbedingte Hingabe erst selbst lernen, und vielleicht lernen da die anderen mit.« Ich weiß noch, daß diese 84
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Title
Die Welt von Gestern
Subtitle
Erinnerungen eines Europäers
Author
Stefan Zweig
Date
1942
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
320
Keywords
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Category
Biographien

Table of contents

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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