Page - 127 - in Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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jungen Verlag zu stoßen und mit ihm gemeinsam in Wirkung zu wachsen; nur
solche gemeinsame Entfaltung schafft eigentlich eine organische
Lebensbedingung zwischen ihm, seinem Werk und der Welt. Mit dem Leiter
des Insel-Verlags, Professor Kippenberg, verband mich bald herzliche
Freundschaft, die noch verstärkt wurde durch beiderseitiges Verständnis für
unsere privaten Sammelleidenschaften, denn Kippenbergs Goethesammlung
entfaltete sich parallel mit dem Aufstieg meiner Autographensammlung in
diesen dreißig gemeinsamen Jahren zur monumentalsten, die je einem
Privaten gelungen. Ich fand bei ihm wertvolle Beratung und ebensooft
wertvolle Abmahnung, konnte ihm anderseits wiederum durch meine
besondere Übersicht über die ausländische Literatur wichtige Anregungen
geben; so ist die Insel-Bücherei, die mit ihren vielen Millionen Exemplaren
gleichsam eine gewaltige Weltstadt um den ursprünglichen ›elfenbeinernen
Turm‹ gebaut und die ›Insel‹ zum repräsentativsten deutschen Verlag gemacht
hat, auf einen Vorschlag von mir entstanden. Nach dreißig Jahren fanden wir
uns anders, als wir begonnen: das schmale Unternehmen einer der
mächtigsten Verlage, der anfangs nur in kleinerem Kreise wirksame Autor
immerhin einer der gelesensten Deutschlands. Und wirklich, eine
Weltkatastrophe und brutalste Gesetzesgewalt waren nötig, diese für uns
beide gleich glückliche und selbstverständliche Verbindung zu lösen. Ich muß
gestehen, daß es mir leichter war, Haus und Heimat zu verlassen, als nicht
mehr das vertraute Signet auf meinen Büchern zu sehen.
Nun war die Bahn offen. Ich hatte fast unziemlich früh begonnen zu
publizieren und doch innerlich die Überzeugung, mit sechsundzwanzig Jahren
noch keine wirklichen Werke geschaffen zu haben. Was die schönste
Errungenschaft meiner jungen Jahre gewesen, der Umgang und die
Freundschaft mit den besten schöpferischen Menschen der Zeit, wirkte sich
im Produktiven merkwürdigerweise als gefährliche Hemmung aus. Ich hatte
zu gut gelernt, um wirkliche Werte zu wissen; das machte mich zaghaft.Dank
dieser Mutlosigkeit beschränkte sich alles, was ich bisher außer
Übertragungen veröffentlicht, in vorsichtiger Ökonomie auf kleines Format
wie Novellen und Gedichte; einen Roman zu beginnen, hatte ich noch lange
nicht den Mut (es sollte noch fast dreißig Jahre dauern). Das erste Mal, daß
ich mich an eine breitere Form wagte, war im Dramatischen, und gleich mit
diesem ersten Versuch begann eine große Versuchung, der nachzugeben mich
mancherlei günstige Zeichen drängten. Ich hatte 1905 oder 1906 während des
Sommers ein Stück geschrieben – im Stile unserer Zeit selbstverständlich ein
Versdrama, und zwar antikischer Art. Es hieß ›Thersites‹; zu sagen, wie ich
heute über dies nur formal noch gültige Stück denke, erübrigt sich durch die
Tatsache, daß ich es wie fast alle meine Bücher vor dem zweiunddreißigsten
Jahr – nie mehr neu drucken ließ. Immerhin kündigte dieses Drama schon
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Die Welt von Gestern
Erinnerungen eines Europäers
- Title
- Die Welt von Gestern
- Subtitle
- Erinnerungen eines Europäers
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1942
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 320
- Keywords
- Biographie, Litertaur, Schriftsteller
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 5
- Die Welt der Sicherheit 10
- Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
- Eros Matutinus 56
- Universitas vitae 74
- Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
- Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
- Über Europa hinaus 135
- Glanz und Schatten über Europa 145
- Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
- Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
- Im Herzen Europas 189
- Heimkehr nach Österreich 208
- Wieder in der Welt 224
- Sonnenuntergang 240
- Incipit Hitler 263
- Die Agonie des Friedens 286