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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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lauschende Menge. Ob ich ihm nicht einen solchen Einakter schreiben könnte? Ich versprach, es zu versuchen. Und Wille kann, wie Goethe sagt, manchmal ›die Poesie kommandieren‹. Ich entwarf in der Skizze einen Einakter ›Der verwandelte Komödiant‹, ein federleichtes Spiel aus dem Rokoko mit zwei eingebauten großen lyrisch-dramatischen Monologen. Unwillkürlich hatte ich bei jedem Wort aus seinem Willen heraus gedacht, indem ich mich mit aller Leidenschaft in Kainzens Wesen und selbst Sprachweise hineinfühlte; so wurde diese gelegentliche Arbeit einer jener Glücksfälle, wie sie nie bloße Handfertigkeit, sondern einzig Begeisterung verwirklicht. Nach drei Wochen konnte ich Kainz die halbfertige Skizze zeigen mit der einen schon eingebauten ›Arie‹. Kainz war ehrlich enthusiasmiert. Er rezitierte sofort aus dem Manuskript zweimal jene Kaskade, das zweite Mal schon mit unvergeßlicher Vollendung. Wie lange ich noch brauche? fragte er, sichtlich ungeduldig. Einen Monat. Vortrefflich! Das klappe wunderbar! Er ginge jetzt für einige Wochen zu einem Gastspiel nach Deutschland, nach seiner Rückkehr müßten sofort die Proben beginnen, denn dieses Stück gehöre ins Burgtheater. Und dann, das verspreche er mir: wohin er immer reise, nehme er es in sein Repertoire, denn es passe ihm wie ein Handschuh. »Wie ein Handschuh!« Immer wieder von neuem wiederholte er, mir dreimal herzlich die Hand schüttelnd, dieses Wort. Offenbar hatte er das Burgtheater noch vor seiner Abreise rebellisch gemacht, denn der Direktor telephonierte mir höchstpersönlich, ich möchte ihm den Einakter schon in der Skizze zeigen und nahm ihn sofort im voraus an. Die Rollen um Kainz wurden bereits den Burgschauspielern zur Lektüre übermittelt. Wieder schien ohne besonderen Einsatz das höchste Spiel gewonnen – das Burgtheater, unser Stadtstolz, und im Burgtheater noch der neben der Duse größte Schauspieler der Zeit in einem Werk von mir: fast zuviel war dies für einen Beginnenden. Jetzt bestand nur noch eine einzige Gefahr, nämlich, daß Kainz vor dem vollendeten Stücke seine Meinung ändern könnte, aber wie unwahrscheinlich war dies! Immerhin war die Ungeduld jetzt auf meiner Seite. Endlich las ich in der Zeitung, Josef Kainz sei von seiner Gastspielreise zurückgekehrt. Zwei Tage zögerte ich aus Höflichkeit, um ihn nicht gleich bei seiner Ankunft zu überfallen. Am dritten Tag aber ermannte ich mich und überreichte dem mir wohlbekannten alten Portier im Hotel Sacher, wo Kainz damals wohnte, meine Karte: »Zu Herrn Hofschauspieler Kainz!« Der alte Mann starrte mich über seinem Zwicker erstaunt an. »Ja, wissen’s denn noch nicht, Herr Doktor?« Nein, ich wußte nichts. »Sie haben ihn doch heute früh ins Sanatorium geführt.« Nun ersterfuhr ich’s: Kainz war schwerkrank von seiner Gastspielreise zurückgekommen, auf der er, die furchtbarsten Schmerzen vor dem 130
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Title
Die Welt von Gestern
Subtitle
Erinnerungen eines Europäers
Author
Stefan Zweig
Date
1942
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
320
Keywords
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Category
Biographien

Table of contents

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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