Web-Books
in the Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Biographien
Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
Page - 161 -
  • User
  • Version
    • full version
    • text only version
  • Language
    • Deutsch - German
    • English

Page - 161 - in Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers

Image of the Page - 161 -

Image of the Page - 161 - in Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers

Text of the Page - 161 -

Musik abbrach. Ich wußte nicht, welches Musikstück es war, das die Kurkapelle gespielt hatte. Ich spürte nur, daß die Musik mit einemmal aussetzte. Instinktiv sah ich vom Buche auf. Auch die Menge, die als eine einzige flutende helle Masse zwischen den Bäumen promenierte, schien sich zu verändern; auch sie stockte plötzlich in ihrem Auf und Ab. Es mußte sich etwas ereignet haben. Ich stand auf und sah, daß die Musiker den Musikpavillon verließen. Auch dies war sonderbar, denn das Kurkonzert dauerte sonst eine Stunde oder länger. Irgend etwas mußte dieses brüske Abbrechen veranlaßt haben; nähertretend bemerkte ich, daß die Menschen sich in erregten Gruppen vor dem Musikpavillon um eine offenbar soeben angeheftete Mitteilung zusammendrängten. Es war, wie ich nach wenigen Minuten erfuhr, die Depesche, daß Seine kaiserliche Hoheit, der Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gemahlin, die zu den Manövern nach Bosnien gefahren waren, daselbst einem politischen Meuchelmord zum Opfer gefallen seien. Immer mehr Menschen scharten sich um diesen Anschlag. Einer sagte dem andern die unerwartete Nachricht weiter. Aber um der Wahrheit die Ehre zu geben: keine sonderliche Erschütterung oder Erbitterung war von den Gesichtern abzulesen. Denn der Thronfolger war keineswegs beliebt gewesen. Noch von meiner frühesten Kindheit erinnere ich mich an jenen andern Tag, als Kronprinz Rudolf, der einzige Sohn des Kaisers, in Mayerling erschossen aufgefunden wurde. Damals war die ganze Stadt in einem Aufruhr ergriffener Erregung gewesen, ungeheure Massen hatten sich gedrängt, um die Aufbahrung zu sehen, überwältigend sich das Mitgefühl für den Kaiser und der Schrecken geäußert, daß sein einziger Sohn und Erbe, dem man als einem fortschrittlichen und menschlich ungemein sympathischen Habsburger die größten Erwartungen entgegengebracht hatte, im besten Mannesalter dahingegangen war. Franz Ferdinand dagegen fehlte gerade das, was in Österreich für eine rechte Popularität unermeßlich wichtig war: persönliche Liebenswürdigkeit, menschlicher Charme und Umgänglichkeit der Formen. Ich hatte ihn oftmals im Theater beobachtet. Da saß er in seiner Loge, mächtig und breit, mit kalten, starren Augen, ohne einen einzigen freundlichen Blick auf das Publikum zu richten oder die Künstler durch herzlichen Beifall zu ermutigen. Nie sah man ihn lächeln, keine Photographie zeigte ihn in aufgelockerter Haltung. Er hatte keinen Sinn für Musik, keinen Sinn für Humor, und ebenso unfreundlich blickte seine Frau. Um diese beiden stand eine eisige Luft; man wußte, daß sie keine Freunde hatten, wußte, daß der alte Kaiser ihn von Herzen haßte, weil er seine Thronfolger- Ungeduld, zur Herrschaft zu kommen, nicht taktvoll zu verbergen verstand. Mein fast mystisches Vorgefühl, daß von diesem Mann mit dem Bulldoggnacken und den starren, kalten Augen irgendein Unglück ausgehen 161
back to the  book Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers"
Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Title
Die Welt von Gestern
Subtitle
Erinnerungen eines Europäers
Author
Stefan Zweig
Date
1942
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
320
Keywords
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Category
Biographien

Table of contents

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
Web-Books
Library
Privacy
Imprint
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Die Welt von Gestern