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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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würde, war also durchaus kein persönlicher, sondern weit in der ganzen Nation verbreitet; die Nachricht von seiner Ermordung erregte deshalb keine tiefe Anteilnahme. Zwei Stunden später konnte man kein Anzeichen wirklicher Trauer mehr bemerken. Die Leute plauderten und lachten, spät abends spielte in den Lokalen wieder die Musik. Es gab viele an diesem Tag in Österreich, die im stillen heimlich aufatmeten, daß dieser Erbe des alten Kaisers zugunsten des ungleich beliebteren jungen Erzherzogs Karl erledigt war. Am nächsten Tage brachten die Zeitungen selbstverständlich ausführliche Nekrologe und gaben der Entrüstung über das Attentat gebührenden Ausdruck. Nichts aber deutete an, daß dies Ereignis zu einer politischen Aktion gegen Serbien ausgewertet werden sollte. Für das Kaiserhaus schuf dieser Tod zunächst eine ganz andere Sorge, die des Zeremoniells seiner Beerdigung. Nach seinem Rang als Thronfolger und insbesondere, da er in Ausübung seines Dienstes für die Monarchie gestorben war, wäre sein Platz selbstverständlich in der Kapuzinergruft gewesen, der historischen Begräbnisstätte der Habsburger. Aber Franz Ferdinand hatte nach langen, erbitterten Kämpfen gegen die kaiserliche Familie eine Gräfin Chotek geheiratet, eine hohe Aristokratin zwar, aber nach dem geheimnisvollen vielhundertjährigen Hausgesetz der Habsburger ihm nicht ebenbürtig, und die Erzherzoginnen behaupteten bei den großen Zeremonien gegenüber der Thronfolgersgattin, deren Kinder nicht erbberechtigt waren, hartnäckig den Vortritt. Aber selbst gegen die Tote wandte sich noch der höfische Hochmut. Wie? – eine Gräfin Chotek in der habsburgischen Kaisergruft beisetzen? Nein, das durfte nicht geschehen! Eine mächtige Intrige begann; die Erzherzoginnen liefen Sturm bei dem alten Kaiser. Während man von dem Volk offiziell tiefe Trauer forderte, spielten in der Hofburg die Rankünen wild durcheinander, und wie gewöhnlich behielt der Tote unrecht. Die Zeremonienmeister erfanden die Behauptung, es sei der eigene Wunsch des Verstorbenen gewesen, in Artstetten, einem kleinen österreichischen Provinzort, begraben zu werden, und mit dieser pseudopietätvollen Ausflucht konnte man sich um die öffentliche Aufbahrung, den Trauerzug und alle damit verbundenen Rangstreitigkeiten sacht herumdrücken. Die Särge der beiden Ermordeten wurden still nach Artstetten gebracht und dort beigesetzt. Wien, dessen ewiger Schaulust man damit einen großen Anlaß genommen, begann bereits den tragischen Vorfall zu vergessen. Schließlich war man in Österreich durch den gewaltsamen Tod der Kaiserin Elisabeth, des Kronprinzen und die skandalöse Flucht von allerhand Mitgliedern des Kaiserhauses längst an den Gedanken gewöhnt, daß der alte Kaiser einsam und unerschütterlich sein tantalidisches Haus überleben würde. Ein paar Wochen noch, und der Name und die Gestalt Franz Ferdinands wären für 162
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Title
Die Welt von Gestern
Subtitle
Erinnerungen eines Europäers
Author
Stefan Zweig
Date
1942
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
320
Keywords
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Category
Biographien

Table of contents

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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