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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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Bibliotheken und Ämter angefordert wurden. Aber der Vorwand genügte in Paris, um Guilbeaux als einen von Deutschland gekauften Agitator zu bezeichnen und ihm den Prozeß zu machen. Er wurde in contumaciam zum Tode verurteilt – durchaus ungerechterweise, wie ja auch die Tatsache bezeugt, daß dieses Urteil zehn Jahre später in einem Revisionsprozeß aufgehoben wurde. Aber kurz darauf geriet er überdies durch seine Vehemenz und Intransigenz, die allmählich auch für Rolland und uns alle zur Gefahr wurde, mit den Schweizer Behörden in Konflikt, wurde verhaftet und eingesperrt. Erst Lenin, der für ihn eine persönliche Neigung und auch Dankbarkeit für die in schwerster Zeit gewährte Hilfe hatte, rettete ihn, indem er ihn durch einen Federstrich in einen russischen Staatsbürger verwandelte und mit dem zweiten versiegelten Zuge nach Moskau kommen ließ. Nun hätte er eigentlich erst produktive Kräfte entfalten können. Denn in Moskau war ihm, der alle Meriten eines richtigen Revolutionärs hatte, Gefängnis und Verurteilung zum Tode in contumaciam, zum zweitenmal jede Möglichkeit des Wirkens gegeben. Wie in Genf durch Rollands Hilfe, hätte er dank Lenins Vertrauen bei dem Aufbau Rußlands Positives leisten können; anderseits war kaum jemand durch seine mutige Haltung im Kriege so sehr ausersehen, in Frankreich nach dem Kriege in Parlament und Öffentlichkeit eine entscheidende Rolle zu spielen, denn alle radikalen Gruppen sahen in ihm den wirklichen, den tätigen, den mutigen Mann, den geborenen Führer. Aber in Wirklichkeit erwies es sich, daß Guilbeaux nichts weniger als eine Führernatur war, sondern nur, wie so viele Kriegsdichter und Revolutionspolitiker, das Produkt einer flüchtigen Stunde und immer fallen unequilibrierte Naturen nach plötzlichen Steigerungen schließlich in sich zusammen. In Rußland vergeudete Guilbeaux als unheilbarer Polemiker wie seinerzeit in Paris seine Begabung in Zänkereien und Stänkereien und verdarb es sich allmählich auch mit denen, die seine Courage respektiert hatten, mit Lenin zuerst, dann mit Barbusse und Rolland und schließlich mit uns allen. Er endete in der klein gewordenen Zeit, wie er begonnen, mit unbedeutenden Broschüren und belanglosen Streitereien; völlig unbeachtet ist er bald nach seiner Begnadigung in einem Winkel von Paris gestorben. Der Verwegenste und Tapferste im Krieg gegen den Krieg, der, wenn er den Anschwung, den ihm die Zeit gegeben, zu nützen und zu verdienen gewußt hätte, eine der großen Figuren unserer Epoche hätte werden können, ist heute völlig vergessen, und ich bin vielleicht einer der letzten, die sich überhaupt noch seiner mit Dankbarkeit für seine Kriegstat des ›Demain‹ entsinnen. Von Genf fuhr ich nach wenigen Tagen nach Zürich zurück, um die Besprechungen wegen der Proben meines Stückes zu beginnen. Ich hatte diese Stadt wegen ihrer schönen Lage am See im Schatten der Berge von je geliebt und nicht minder wegen ihrer vornehmen, ein wenig konservativen 201
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Title
Die Welt von Gestern
Subtitle
Erinnerungen eines Europäers
Author
Stefan Zweig
Date
1942
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
320
Keywords
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Category
Biographien

Table of contents

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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