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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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Autor des ›Jeremias‹ – die Verantwortung, man müßte eigentlich mithelfen durch sein Wort, die Niederlage zu überwinden. Überflüssig während des Krieges, schien ich mir nun nach der Niederlage an der richtigen Stelle, zumal ich mir durch meinen Widerstand gegen die Kriegsverlängerung eine gewisse moralische Stellung insbesondere bei der Jugend erworben hatte. Und selbst wenn man nichts zu leisten vermochte, blieb wenigstens die Genugtuung, mitzuleiden an dem allgemeinen Leiden, das man vorausgesagt. Eine Fahrt nach Österreich erforderte damals Vorbereitungen wie eine Expedition in ein arktisches Land. Man mußte sich ausrüsten mit warmen Kleidern und Wollwäsche, denn man wußte, daß jenseits der Grenze keine Kohle vorhanden war, – und der Winter stand vor der Türe. Man ließ sich die Schuhe sohlen, denn drüben gab es nur Holzsohlen. Man nahm Vorräte und Schokolade mit, soviel die Schweiz verstattete, um nicht zu verhungern, bis die ersten Brot- und Fettkarten einem zugeteilt würden. Man versicherte sein Gepäck, so hoch es nur ging, denn die meisten Gepäckwagen wurden geplündert, und jeder Schuh, jedes Kleidungsstück war unersetzbar; nur als ich zehn Jahre später einmal nach Rußland reiste, habe ich ähnliche Vorbereitungen getroffen. Einen Augenblick stand ich noch unschlüssig in der Grenzstation Buchs, in die ich vor mehr als einem Jahr so beglückt eingefahren, und fragte mich, ob ich nicht doch lieber im letzten Augenblick noch umkehren sollte. Es war, ich fühlte es, eine Entscheidung in meinem Leben. Aber schließlich entschloß ich mich zum Schweren und Schwierigeren. Ich bestieg wieder den Zug. Bei meiner Ankunft vor einem Jahre hatte ich an der schweizerischen Grenzstation in Buchs eine aufregende Minute erlebt. Jetzt bei der Rückkehr stand mir eine nicht minder unvergeßliche an der österreichischen in Feldkirch bevor. Schon beim Aussteigen hatte ich eine merkwürdige Unruhe bei den Grenzbeamten und Polizisten wahrgenommen. Sie achteten nicht besonders auf uns und erledigten höchst lässig die Revision: offenbar warteten sie auf etwas Wichtigeres. Endlich kam der Glockenschlag, der das Nahen eines Zuges von der österreichischen Seite ankündigte. Die Polizisten stellten sich auf, alle Beamten eilten aus ihren Verschlägen, ihre Frauen offenbar verständigt, drängten sich auf dem Perron zusammen; insbesondere fiel mir unter den Wartenden eine alte Dame in Schwarz mit ihren beiden Töchtern auf, nach ihrer Haltung und Kleidung vermutlich eine Aristokratin. Sie war sichtlich erregt und fuhr immer wieder mit dem Taschentuch an ihre Augen. Langsam, ich möchte fast sagen, majestätisch rollte der Zug heran, ein Zug besonderer Art, nicht die abgenutzten, vom Regen verwaschenen gewöhnlichen Passagierwaggons, sondern schwarze, breite Wagen, ein 209
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Title
Die Welt von Gestern
Subtitle
Erinnerungen eines Europäers
Author
Stefan Zweig
Date
1942
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
320
Keywords
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Category
Biographien

Table of contents

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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