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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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und Mussolini, in Frankreich ein Briand wirklich aus dem Volke zu den höchsten Staatsmännern aufgestiegen waren, galt es für den Deutschen als undenkbar, daß ein Mann, der nicht einmal die Bürgerschule zu Ende besucht, geschweige denn eine Hochschule absolviert, daß jemand, der in Männerheimen übernachtet und auf heute noch nicht aufgeklärte Weise jahrelang ein dunkles Leben gefristet, je einer Stellung sich auch nur nähern könnte, die ein Freiherr vom Stein, ein Bismarck, ein Fürst Bülow innegehabt. Nichts so sehr als dieser Bildungshochmut hat die deutschen Intellektuellen verleitet, in Hitler noch den Bierstubenagitator zu sehen, der nie ernstlich gefährlich werden könnte, als er längst schon dank seiner unsichtbaren Drahtzieher sich mächtige Helfer in den verschiedensten Kreisen gewonnen. Und selbst als er an jenem Januartag 1933 Kanzler geworden war, betrachteten die große Menge und sogar diejenigen, die ihn an diesen Posten geschoben, ihn nur als provisorischen Platzhalter und die nationalsozialistische Herrschaft als Episode. Damals offenbarte sich die zynisch geniale Technik Hitlers zum erstenmal in großem Stil. Er hatte seit Jahren nach allen Seiten hin Versprechungen gemacht und bei allen Parteien wichtige Exponenten gewonnen, von denen jeder meinte, sich der mystischen Kräfte des ›unbekannten Soldaten‹ für seine Zwecke bedienen zu können. Aber dieselbe Technik, die Hitler später in der großen Politik geübt, Bündnisse mit Eid und deutscher Treuherzigkeit gerade mit jenen zu schließen, die er vernichten und ausrotten wollte, feierte ihren ersten Triumph. So vollkommen wußte er nach allen Seiten hin durch Versprechungen zu täuschen, daß am Tage, da er zur Macht kam, Jubel in den allergegensätzlichsten Lagern herrschte. Die Monarchisten in Doorn meinten, er sei des Kaisers getreuester Wegbereiter, aber ebenso frohlockten die bayrischen, die wittelsbachischen Monarchisten in München; auch sie hielten ihn für ihren Mann. Die Deutschnationalen hofften, er werde ihnen das Holz kleinschlagen, das ihre Öfen heizen sollte; ihr Führer Hugenberg hatte sich vertraglich den wichtigsten Platz gesichert in Hitlers Kabinett und glaubte damit den Fuß im Steigbügel zu haben – natürlich flog er trotz beschworener Vereinbarung nach den ersten Wochen hinaus. Die Schwerindustrie fühlte durch Hitler sich von der Bolschewistenangst entlastet, sie sah den Mann an der Macht, den sie seit Jahren im geheimen finanziert; und gleichzeitig atmete das verarmte Kleinbürgertum, dem er in hundert Versammlungen die ›Brechung der Zinsknechtschaft‹ versprochen hatte, begeistert auf. Die kleinen Händler erinnerten sich an die Zusage der Schließung der großen Warenhäuser, ihrer gefährlichsten Konkurrenz (eine Zusage, die nie erfüllt wurde), und insbesondere dem Militär war Hitler willkommen, weil er militaristisch dachte und den Pazifismus beschimpfte. Sogar die Sozialdemokraten sahen seinen Aufstieg nicht so unfreundlich an, wie man 266
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Title
Die Welt von Gestern
Subtitle
Erinnerungen eines Europäers
Author
Stefan Zweig
Date
1942
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
320
Keywords
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Category
Biographien

Table of contents

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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