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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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Porträt des Humanisten versuchte, der, obwohl klarer den Widersinn der Zeit verstehend als die professionellen Weltverbesserer, tragischerweise doch nicht imstande war, mit all seiner Vernunft ihm in den Weg zu treten. Nach Vollendung dieser verschleierten Selbstdarstellung war es meine Absicht, einen langgeplanten Roman zu schreiben. Ich hatte genug von Biographien. Aber da geschah mir gleich am dritten Tage, daß ich im Britischen Museum, angezogen von meiner alten Leidenschaft für Autographen, die im öffentlichen Raum ausgestellten Stücke musterte. Darunter war der handschriftliche Bericht über die Hinrichtung Maria Stuarts. Unwillkürlich fragte ich mich: wie war das eigentlich mit Maria Stuart? War sie wirklich am Mord ihres zweiten Gatten beteiligt, war sie es nicht? Da ich abends nichts zu lesen hatte, kaufte ich ein Buch über sie. Es war ein Hymnus, der sie wie eine Heilige verteidigte, ein Buch, flach und töricht. In meiner unheilbaren Neugier schaffte ich mir am nächsten Tage ein anderes an, das ungefähr genau das Gegenteil behauptete. Nun begann mich der Fall zu interessieren. Ich fragte nach einem wirklich verläßlichen Buch. Niemand konnte mir eines nennen, und so suchend und mich erkundigend geriet ich unwillkürlich hinein ins Vergleichen und hatte, ohne es recht zu wissen, ein Buch über Maria Stuart begonnen, das mich dann Wochen in den Bibliotheken festhielt. Als ich Anfang 1934 wieder nach Österreich fuhr, war ich entschlossen, nach dem mir liebgewordenen London zurückzukehren, um dieses Buch dort in Stille zu vollenden. Ich brauchte nicht mehr als zwei oder drei Tage in Österreich, um zu sehen, wie sich die Situation in diesen wenigen Monaten verschlimmert hatte. Aus der stillen und sicheren Atmosphäre Englands in dies von Fiebern und Kämpfen geschüttelte Österreich zu kommen, war, wie wenn man an einem heißen New Yorker Julitag aus einem luftgekühlten, einem air-conditioned Raum plötzlich auf die glühende Straße tritt. Die nationalsozialistische Pression begann den klerikalen und bürgerlichen Kreisen allmählich die Nerven zu zerstören; immer härter fühlten sie die wirtschaftlichen Daumschrauben, den subversiven Druck des ungeduldigen Deutschlands. Die Regierung Dollfuß, die Österreich unabhängig halten und vor Hitler bewahren wollte, suchte immer verzweifelter nach einer letzten Stütze. Frankreich und England waren zu abgelegen und auch innerlich zu gleichgültig, die Tschechoslowakei noch von alter Ranküne und Rivalität gegen Wien erfüllt – so blieb nur Italien, das damals ein wirtschaftliches und politisches Protektorat über Österreich anstrebte, um sich die Alpenpässe und Triest zu schützen. Für diesen Schutz verlangte Mussolini allerdings einen harten Preis. Österreich sollte den faschistischen Tendenzen angepaßt, das Parlament und damit die Demokratie erledigt werden. Dies war nun nicht möglich ohne die 280
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Title
Die Welt von Gestern
Subtitle
Erinnerungen eines Europäers
Author
Stefan Zweig
Date
1942
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
320
Keywords
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Category
Biographien

Table of contents

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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