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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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Beseitigung oder Entrechtung der sozialdemokratischen Partei, der stärksten und bestorganisierten Österreichs. Sie zu brechen gab es keinen anderen Weg als den brutaler Gewalt. Für diese terroristische Aktion hatte schon der Vorgänger von Dollfuß, Ignaz Seipel, eine Organisation geschaffen, die sogenannte ›Heimwehr‹. Äußerlich gesehen, stellte sie so ziemlich die ärmlichste Angelegenheit dar, die man sich denken konnte, kleine Provinzadvokaten, entlassene Offiziere, dunkle Existenzen, unbeschäftigte Ingenieure, jeder eine enttäuschte Mittelmäßigkeit, die alle einander auf das grimmigste haßten. Schließlich fand man in dem jungen Fürsten Starhemberg einen sogenannten Führer, der einst zu Füßen Hitlers gesessen und gegen die Republik und die Demokratie gewettert hatte und jetzt mit seinen gemieteten Soldaten als Hitlers Antagonist herumzog und versprach, ›Köpfe rollen zu lassen‹. Was die Heimwehrleute positiv wollten, war völlig unklar. Die Heimwehr hatte in Wirklichkeit kein anderes Ziel, als auf irgendeine Weise an die Krippe zu kommen, und ihre ganze Kraft war die Faust Mussolinis, der sie vorwärtsstieß. Daß diese angeblich patriotischen Österreicher mit ihren von Italien gelieferten Bajonetten den Ast absägten, auf dem sie saßen, merkten sie nicht. Die sozialdemokratische Partei begriff besser, wo die eigentliche Gefahr lag. An sich brauchte sie den offenen Kampf nicht zu scheuen. Sie hatte ihre Waffen und konnte durch einen Generalstreik alle Bahnen, alle Wasserwerke, alle Elektrizitätswerke lahmlegen. Aber sie wußte auch, daß Hitler nur auf eine solche sogenannte ›rote Revolution‹ wartete, um einen Vorwand zu haben, als ›Retter‹ in Österreich einzurücken. So schien es ihr besser, ein Großteil ihrer Rechte und sogar das Parlament zu opfern, um zu einem erträglichen Kompromiß zu gelangen. Alle Vernünftigen befürworteten einen solchen Ausgleich angesichts der Zwangslage, in der sich Österreich im drohenden Schatten des Hitlerismus befand. Sogar Dollfuß selbst, ein geschmeidiger, ehrgeiziger, aber durchaus realistischer Mann, schien zu einer Einigung geneigt. Aber der junge Starhemberg und sein Kumpan, Major Fey, der dann bei der Ermordung von Dollfuß eine merkwürdige Rolle spielte, verlangten, daß der Schutzbund seine Waffen ausliefere und daß jede Spur demokratischer und bürgerlicher Freiheit vernichtet werde. Gegen diese Forderung wehrten sich die Sozialdemokraten, Drohungen wechselten herüber und hinüber in den Lagern. Eine Entscheidung, das spürte man, lag jetzt in der Luft, und ich mußte im Gefühl der allgemeinen Spannung ahnungsvoll an Shakespeares Worte denken: »So foul a sky clears not without a storm.« 281
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Title
Die Welt von Gestern
Subtitle
Erinnerungen eines Europäers
Author
Stefan Zweig
Date
1942
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
320
Keywords
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Category
Biographien

Table of contents

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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