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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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um zum erstenmal zu versuchen mit Hitler persönlich zu verhandeln. In dieser Ausgabe des ›Evening Standard‹ waren nun auf der ersten Seite – ich sehe sie noch optisch vor mir, der Text stand fettgedruckt auf der rechten Seite – die einzelnen Punkte aufgezählt, über die Halifax mit Hitler zu einem Einverständnis kommen wollte. Unter ihnen befand sich auch der Paragraph Österreich. Und zwischen den Zeilen fand ich darin oder glaubte ich zu lesen: die Preisgabe Österreichs, denn was konnte eine Aussprache mit Hitler anderes bedeuten? Wir Österreicher wußten doch, in diesem Punkte würde Hitler nie nachgeben. Merkwürdigerweise war diese programmatische Aufzählung der Diskussionsthemen einzig in jener Mittagsausgabe des ›Evening Standard‹ enthalten und aus allen späteren Ausgaben derselben Zeitung am Spätnachmittag schon wieder spurlos verschwunden. (Wie ich später gerüchtweise hörte, war angeblich diese Information der Zeitung von der italienischen Gesandtschaft zugeschanzt worden, denn vor nichts fürchtete sich Italien 1937 noch mehr als vor einer Einigung Deutschlands und Englands hinter seinem Rücken.) Wieviel an dieser – von der großen Menge wohl unbemerkten – Notiz in dieser einen Ausgabe des ›Evening Standard‹ sachlich richtig oder unrichtig gewesen sein mag, weiß ich nicht zu beurteilen. Ich weiß nur, wie maßlos ich persönlich erschrak bei dem Gedanken, es werde bereits zwischen Hitler und England über Österreich verhandelt; ich schäme mich nicht zu sagen, daß mir das Zeitungsblatt in den Händen zitterte. Falsch oder wahr, die Nachricht erregte mich wie keine seit Jahren, denn ich wußte, wenn sie sich auch nur in einem Bruchteil bewahrheitete, dann war dies der Anfang vom Ende, dann fiel der Stein aus der Mauer und die Mauer mit ihm. Ich kehrte sofort um, sprang in den nächsten Autobus, auf dem ›Victoria Station‹ stand und fuhr zu den Imperial Airways, um zu fragen, ob für den nächsten Morgen noch ein Flugplatz verfügbar sei. Ich wollte noch einmal meine alte Mutter, meine Familie, meine Heimat sehen. Zufälligerweise bekam ich noch ein Billett, warf rasch ein paar Dinge in den Koffer und flog nach Wien. Meine Freunde staunten, daß ich so rasch und so plötzlich wiederkam. Aber wie verlachten sie mich, als ich meine Sorge andeutete; ich sei noch immer der alte ›Jeremias‹, spotteten sie. Ob ich denn nicht wisse, daß die ganze österreichische Bevölkerung jetzt hundertprozentig hinter Schuschnigg stünde? Sie rühmten umständlich die großartigen Demonstrationen der ›Vaterländischen Front‹, während ich doch schon in Salzburg beobachtet hatte, daß die meisten dieser Demonstranten das vorgeschriebene Einheitsabzeichen nur außen auf dem Rockkragen trugen, um ihre Stellung nicht zu gefährden, gleichzeitig aber in München längst zur Vorsicht bei den Nationalsozialisten eingeschrieben waren – ich hatte zuviel Geschichte gelernt und geschrieben, um nicht zu wissen, daß die große Masse immer 295
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Title
Die Welt von Gestern
Subtitle
Erinnerungen eines Europäers
Author
Stefan Zweig
Date
1942
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
320
Keywords
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Category
Biographien

Table of contents

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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