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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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zweiten Fluge zu Hitler zurück, und einige Tage später wußte man, was geschehen war. Chamberlain war gekommen, um in Godesberg Hitler restlos zu bewilligen, was Hitler zuvor in Berchtesgaden von ihm verlangt. Aber was Hitler vor wenigen Wochen als zureichend empfunden, genügte nun seiner Machthysterie nicht mehr. Die Politik des appeasement und des ›try and try again‹ war jämmerlich gescheitert, die Epoche der Gutgläubigkeit in England über Nacht zu Ende. England, Frankreich, die Tschechoslowakei, Europa hatten nur die Wahl, sich vor Hitlers peremptorischem Machtwillen zu demütigen oder sich ihm mit der Waffe in den Weg zu stellen. England schien zum Äußersten entschlossen. Man verschwieg die Rüstungen nicht länger, sondern zeigte sie offen und demonstrativ. Plötzlich erschienen Arbeiter und warfen mitten in den Gärten Londons, im Hyde Park, im Regent’s Park und insbesondere gegenüber der Deutschen Botschaft Unterstände auf für die drohenden Bombenangriffe. Die Flotte wurde mobilisiert, die Generalstabsoffiziere flogen ständig zwischen Paris und London hin und her, um die letzten Maßnahmen gemeinsam zu treffen, die Schiffe nach Amerika wurden von den Ausländern gestürmt, die sich rechtzeitig in Sicherheit bringen wollten; seit 1914 war kein solches Erwachen über England gekommen. Die Menschen gingen ernster und nachdenklicher. Man sah die Häuser an und die überfüllten Straßen mit dem geheimen Gedanken: werden nicht morgen schon die Bomben auf sie niederschmettern? Und hinter den Türen standen und saßen die Menschen zur Nachrichtenstunde um das Radio. Unsichtbar und doch fühlbar in jedem Menschen und in jeder Sekunde lag eine ungeheure Spannung über dem ganzen Land. Dann kam jene historische Sitzung des Parlaments, wo Chamberlain berichtete, er habe noch einmal versucht, mit Hitler zu einer Einigung zu gelangen, noch einmal, zum drittenmal ihm den Vorschlag gemacht, ihn in Deutschland an jedem beliebigen Orte aufzusuchen, um den schwer bedrohten Frieden zu retten. Die Antwort auf seinen Vorschlag sei noch nicht eingelangt. Dann kam mitten in der Sitzung – allzu dramatisch gestellt – jene Depesche, die Hitlers und Mussolinis Zustimmung zu einer gemeinsamen Konferenz in München meldete, und in dieser Sekunde verlor – ein fast einmaliger Fall in der Geschichte Englands – das englische Parlament seine Nerven. Die Abgeordneten sprangen auf, schrien und applaudierten, die Galerien dröhnten vor Jubel. Seit Jahren und Jahren hatte das ehrwürdige Haus nicht so gebebt von einem Ausbruch der Freude, wie in diesem Augenblick. Menschlich war es ein wunderbares Schauspiel, wie der ehrliche Enthusiasmus darüber, daß der Friede noch gerettet werden könne, die von den Engländern sonst so virtuos geübte Haltung und Zurückhaltung überwand. Aber politisch stellte dieser Ausbruch einen ungeheuren Fehler dar, denn mit seinem wilden Jubel hatte das Parlament, hatte das Land 303
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Title
Die Welt von Gestern
Subtitle
Erinnerungen eines Europäers
Author
Stefan Zweig
Date
1942
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
320
Keywords
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Category
Biographien

Table of contents

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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