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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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Er höhlte ihm die Wangen, er meißelte die Schläfen aus der Stirn, er zerrte den Mund ihm schief, er hemmte die Lippe im Wort: nur gegen das Auge vermochte der finstere Würger nichts, gegen diesen uneinnehmbaren Wachtturm, von dem der heroische Geist in die Welt blickte: das Auge und der Geist, sie blieben klar bis zum letzten Augenblick. Einmal, bei einem meiner letzten Besuche, nahm ich Salvador Dali mit, den meiner Meinung nach begabtesten Maler der neuen Generation, der Freud unermeßlich verehrte, und während ich mit Freud sprach, zeichnete er eine Skizze. Ich habe sie Freud nie zu zeigen gewagt, denn hellsichtig hatte Dali schon den Tod in ihm gebildet. Immer grausamer wurde dieser Kampf des stärksten Willens, des durchdringendsten Geistes unserer Zeit gegen den Untergang; erst als er selber klar erkannte, er, dem Klarheit von je die höchste Tugend des Denkens gewesen, daß er nicht werde weiterschreiben, weiterwirken können, gab er wie ein römischer Held dem Arzt Erlaubnis, dem Schmerz ein Ende zu bereiten. Es war der großartige Abschluß eines großartigen Lebens, ein Tod, denkwürdig selbst inmitten der Hekatomben von Toten in dieser mörderischen Zeit. Und als wir Freunde seinen Sarg in die englische Erde senkten, wußten wir, daß wir das Beste unserer Heimat ihr hingegeben. Ich hatte in jenen Stunden mit Freud oftmals über das Grauen der hitlerischen Welt und des Krieges gesprochen. Er war als menschlicher Mensch tief erschüttert, aber als Denker keineswegs verwundert über diesen fürchterlichen Ausbruch der Bestialität. Immer habe man ihn, sagte er, einen Pessimisten gescholten, weil er die Übermacht der Kultur über die Triebe geleugnet habe; nun sehe man – freilich mache es ihn nicht stolz – seine Meinung, daß das Barbarische, daß der elementare Vernichtungstrieb in der menschlichen Seele unausrottbar sei, auf das entsetzlichste bestätigt. Vielleicht werde in den kommenden Jahrhunderten eine Form gefunden werden, wenigstens im Gemeinschaftsleben der Völker diese Instinkte niederzuhalten; im täglichen Tage aber und in der innersten Natur bestünden sie als unausrottbare und vielleicht notwendige spannungserhaltende Kräfte. Mehr noch in diesen seinen letzten Tagen beschäftigte ihn das Problem des Judentums und dessen gegenwärtige Tragödie; hier wußte der wissenschaftliche Mensch in ihm keine Formel und sein luzider Geist keine Antwort. Er hatte kurz vorher seine Studie über Moses veröffentlicht, in der er Moses als einen Nichtjuden, als einen Ägypter darstellte, und er hatte mit dieser wissenschaftlichen kaum fundierbaren Zuweisung die frommen Juden ebensosehr wie die nationalbewußten gekränkt. Nun tat es ihm leid, dieses Buch gerade inmitten der grauenhaftesten Stunde des Judentums publiziert zu 310
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Title
Die Welt von Gestern
Subtitle
Erinnerungen eines Europäers
Author
Stefan Zweig
Date
1942
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
320
Keywords
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Category
Biographien

Table of contents

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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