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80 So war es auch kein besonderes Staatereignis, dass schon im August 1945
wieder die Salzburger Festspiele über die Bühne gingen und im Herbst des-
selben Jahres im Theater an der Wien Josef Krips den Taktstock zur E-Dur
Ouvertüre des „Fidelio“ vor einem festlich gestimmten Publikum, in dem auch
hochrangige Militärs der vier Besatzungsmächte in den vorderen Reihen Platz
genommen hatten, hob. In den weiteren Jahren etablierte sich in diesem tradi-
tionellen Haus das legendäre Mozartensemble, von dem noch heute Besucher,
Kritiker und Künstler schwärmen.
Doch blieben einige traditionelle Häuser von der Spitzhacke nicht verschont.
Ich erinnere mich an das Bürgertheater beim ehemaligen Hauptzollamt und an
die Scala am Beginn der Favoritenstraße. In diesem Kino wie Theater fanden
Welturaufführungen von Filmen statt und es war faszinierend, wenn die haus-
eigene Orgel zu Stummfilmen oder bei festlichen Anlässen bespielt wurde.
Aber nicht nur die Hochkultur erblühte wiederum. Man spielte in den traditio-
nellen Theatern, soweit sie nicht von den Bomben zerstört waren, und auch in
kleineren und kleinsten Bühnen und Pfarrsälen hob sich der Vorhang zu Oper,
Operette und Sprechtheater. Ich erinnere mich an sehr liebevoll inszenierte
und meist von Amateuren mit Enthusiasmus gestaltete Aufführungen von
Operetten wie „Dreimäderlhaus“ von Franz Schubert und Heinrich Berté und
„Die Landstreicher“ von Carl M. Zierer. Es spielten fast ausschließlich Laiendar-
steller in selbstgemachen Kostümen vor selbstgemachten Kulissen. Die Säle
wären am Sonntagnachmittag voll, die Stimmung gut, denn man konnte für
einige Stunden den Alltag vergessen.
Auch Schulaufführungen fanden statt. So brachte unserer Klasse als „Eigen-
produktion“ im Festsaal der tschechischen Schule am Ziererplatz in Wien III.
„Bürgerlich und romantisch“ von Eduard von Bauernfeld zur Aufführung. Jeder
von uns hatte dabei eine Funktion: vom Schauspieler bis zum Platzanweiser.
Verwandte und Freunde erwiesen uns die Ehre ihres Besuches und es war ein
kleines Familienfest, ein zaghaftes Kennenlernen der Eltern untereinander wie
auch von Eltern und Lehrern.
Auch sonst erblühte langsam wieder das Leben und Treiben in Wien. Im Sep-
tember fuhr wieder die erste Straßenbahn, der 41er vom Schottenring nach
Pötzleinsdorf. Die Waggons waren alt und notdürftig repariert, die Oberleitung
im wahrsten Sinne des Wortes „zusammengeflickt“, doch die Tram transpor-
Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Titel
- Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
- Untertitel
- Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Autor
- Othmar Nestroy
- Herausgeber
- Technischen Universität Graz
- Verlag
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-741-0
- Abmessungen
- 20.0 x 25.0 cm
- Seiten
- 120
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einstimmung 8
- Einleitung 11
- Politische Propaganda 13
- Spiel und Sport 19
- Der Krieg wird spürbar 23
- Die großen Wendepunkte: Der Fall von Stalingrad und von Monte Cassino, die Landung in der Normandie und das Hitler-Attentat 29
- Privater und öffentlicher Verkehr 32
- Die ersten Bomben fallen auf die Innenstadt 41
- Der totale Krieg beginnt 47
- Die Front rückt näher 57
- Die Soldaten der Roten Armee erobern Wien 61
- Das Leben normalisiert sich und der Wiederaufbau beginnt 75
- Das lange Warten auf den Staatsvertrag 89
- Nachklang 93
- Persönliche Schicksale am Rande des Krieges 97
- Ausklang 115