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Tagebuch 1923
Abends bei Mama, die ich mit vielen Geschichten aus Gastein u. Lofer auf-
mischte.4
19.VI.
Bei Wanick mit dem „Todessprung“, im Vorhinein von der Aussichtslosigkeit über-
zeugt. In der Elektrischen* hab ich ein kleines Gedicht gehabt. Ich werde es „Erin-
nerungen“ nennen.5
Erinnerungen
Ich war lange krank im Spital.
Eine schwere und eine liebe Zeit.
Ach Gott, wenn sie auf der Leibschüssel liegen,
Sind die Reichen auch arme Leut.
Und wenn wir frisch gewaschen
In den Vormittag schlafen
Haben wir uns wie die Kinder gefreut.
Dürfen wir uns nicht bewegen,
nicht nach rechts, nicht nach links,
weil es der Doktor verboten hat,
und unten am Kreuz bist du aufgelegen,
Das rohe Fleisch
–
So schmerzt die Matratze ob weich oder hart,
So verfluchst du das Leintuch ob grob oder zart,
S’ist einerlei.
Und die Schwestern lächeln den lieben Frieden
Ihnen und uns.
Dann kam ich heraus.
Da hatten die Bäume lauter neue Blätter getrieben,
Und das Loch bei der Stiege,
Wo vom Regen immer die Lacke stand,
War mit Ziegeln gefüllt und trocken.
Ja, die Zeit draußen war auch nicht stehen geblieben.
–
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Nachher bei Georg Halle zum Schwarzen**. Der arme kranke Mann, die arme ge-
* Straßenbahn
** Espresso
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
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- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 458
- Kategorie
- Biographien