Seite - 43 - in Erica Tietze-Conrat - Tagebücher, Band I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
Bild der Seite - 43 -
Text der Seite - 43 -
43
Tagebuch 1923
Ich seh’ mich um
–
Niemand da
–
Vielleicht raschelt es nicht,
Vielleicht bleibt es stumm.
Ach ich such
– ach ich such
–
–
Vielleicht ist es ein Taschentuch.
Einer hat es verloren
Und es hat ihm bis heut nicht gefehlt
–
Es sind so viele im Kasten,
Daß er sie niemals zählt.
S’ist erst im Staub gelegen,
Dann fiel Regen,
Die Menschen gehen in den Gassen herum
Und treten drauf.
Wehrlos liegt es hier.
Wenn es raschelt, ist’s Papier
–
Doch vielleicht bleibt es stumm.
Einmal hab ich eines gefunden
Und mein Mann hat sich danach gebückt
Und wir lachten wie die Kinder
Denn ein kleines M war eingestickt
–
Und ich heiße Marie
–
Dann haben wir es nachhause genommen
Und vergessen.
Und als es aus der Wäsche gekommen,
Hat es das Mädchen in den Kasten gegeben.
Damals hatte ich noch ein Mädchen und eine Köchin.
Ja, das war ein leichteres Leben.
Ich hab ihr das Taschentuch geschenkt.
Es war aus Batist und auch sie
Hieß Marie.
Heut muß ich alles alleine machen,
–
Er ist gelähmt, mein Mann.
Es ist nur so schwer,
Wenn man gar nichts nachschaffen kann.
Und ich hielt so viel auf meine Sachen.
Am Besen die Borsten von Stroh
Sind ausgefallen
–
Das Staubtuch ein Lumpen
–
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 458
- Kategorie
- Biographien