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Tagebuch 1923
Ein Lied
…
Die andern lachen es fort,
–
Bevor’s noch Farbe hat
–
Vom Wind
Verwehtes Blatt
…
Wir halten
Auf der Strecke
–
Einer in der Ecke
Zuckt aus den Falten
Hinauf zum Licht :
Sind wir schon dort ?
–
– Nein,
Wir sind noch nicht
–
In der Stadt, in der Stadt
Noch nicht !
Laternenschein
Schwingt auf und nieder
Den Zug entlang
–
Wir fahren wieder.
27.VII.
Gestern nachmittag bei Lotte Edlauer Nervenheilanstalt Rosenhügel. Es war
furchtbar. Nach der Depression jetzt ein manischer Zustand, man will sie nicht
mehr dortbehalten. Sie hat immer hohen Puls, roten Kopf u. spricht ohne Unter-
brechung Stunden u. Stunden. Geistvoller u. logischer als jemals zuvor. Viel von
Verfolgungswahn ist schon dabei. Wenn ich ihr manches auszureden versuchte, un-
terbrach sie mich immer : Ich bitt dich ! Du nimmst mir meine Krankheitseinsicht
u. da komm ich gleich unter Kuratel*
– Sie schimpft auf alle Psychiater. „Jeder muß
verrückt werden, wenn er immer u. in allem beobachtet wird.“ Es ist das sicher ein
Circulus.
–
Mit einem Kopf so groß wie ein Wasserschaff kam ich Abend zu Steiner, wo ich
mit Hans u. Kaschnitz einen sehr gemütlichen Abend verbrachte. Leider hab ich
ihn selbst nicht ganz ausgenießen können, weil ich von dem Besuch vorher zu abge-
spannt war. Aus einer Jungmädchenerinnerung, über die ich oft mit meiner großen
Schwester Ilse lache, ist ein Gedicht geworden.42
* Pflegschaft
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 458
- Kategorie
- Biographien