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Tagebuch 1923
15.VIII.
Wieder ein ganz blauer Tag – und von den Schweden ein Brief, daß sie also am 18.
reisen u. von Hans einer, daß er mich um diese Zeit erwartet. Am Vormittag war ich
im Wald u. hab mir dann das Bild angeschaut, Ölskizze auf Papier, das Ehrlich vom
Anderl gemacht hat. Sehr viel gutes drin – sehr viel vom Anderl – aber es fehlt die
Feinheit u. Zurückhaltung. Am Abend war ich allein auf dem Hügel vor dem Loferer
Hochtal u. hab von hier zum erstenmal Abschied genommen
– fast hätt ich geschrie-
ben : Abschied gesungen, denn in der Tat hab ich den Anfang immer vor mich hinge-
summt, nach einer ganz banalen Melodie.
Abschied von Lofer 1923
So schwer fahr ich fort
–
So schwer,
Als wenn’s mein letzter Sommer wär’.
Vielleicht übers Jahr,
Bin ich weit
Von hier
–
Und seh nur mehr
Die kahle Wand
–
Und daran
Die hilflosen Betten,
Die man
So bequem nach allen Seiten
schieben kann.
Sie stehen einander so nah
–
Und jedes taucht
In die Einsamkeit.
Vielleicht übers Jahr
–
Bin ich gar nicht mehr da
…
Ich knie ins Moos
–
Klaub Fichtennadeln
–
Sie sind
Ganz alt
–
Und haben keinen
Tropfen Farbe mehr
–
Und duften noch nach Wald
–
Ich hab euch lieb
–
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
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- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 458
- Kategorie
- Biographien