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Tagebuch 1923
in der Ausstellung Probe geführt. Ich machte dazu meine Bemerkungen, das ganze
summiert sich zu einem Vortrag
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Dann Van Bercken, der eine Tintorettozeichn[ung] (hl. Familie), die der Suida für
einen Savoldo verkauft hatte u. die die Bum als Tintoretto bestimmt hatte, mit einem
Mailänder Tintoretto zusammenbrachte, den Hadeln in d. Zeitschr[ift] f[ür] b[il-
dende] K[un]st abbildet. Doppelt ehrenvoll für die Bum, die Zeichnung im Burling-
ton als Tintoretto publiziert zu haben – unverständlich aber, daß sie einen Aufsatz
Hadelns, der doch jeden Aufsatz benützt, um Invektiven gegen sie hineinzusetzen,
nicht kennt ! Heut kam ein sehr warmer anonymer Brief von einem Leser d. Arbei-
terzeitung über meine Gedichte
– u. ein Brief Kiesler, der mir rät, das M[anu]s[kript]
des Tobias dem Döblin einzuschicken, da er bei dem Kleistpreis heuer Preisrichter ist.
Ich tele ph[onierte] gerade an Lampl, um es ihm vorzulesen, bevor ich es zu diesem
Zweck tippen lasse
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19.IX.
Zu jenem anonymen Brief möchte ich dazu be-
merken, er handelt vor allem über die „Verbrauchte
Mutter“ – Stoffel las ihn u. sagte mir : „Mir scheint,
die hält das auch für wahr, was du schreibst.“ Die-
ser Grad der Natürlichkeit ist wundervoll – Gestern
war ein sehr bewegter Tag. In d. Früh schon telepho-
nierte Buschbeck, ich solle am Vormittag in Schön-
brunn mit führen, da Ottmann abgesagt habe. Es
war ganz gewittrig u. vieles klappte nicht, wie immer
wenn so geschäftige Menschen wie Buschbeck etwas
arrangieren. Prof. Pribram ging auch mit, da er nie
in Schönbrunn gewesen war u. drohte mir immer
mit einem epileptischen Anfall, den er gewöhnlich
bei Schloßführung infolge von Nervosität bekommt
bez[iehungsweise] simuliert, um loszukommen. Nach
Tisch Führung in d. Stephanskirche, riesig voll, in-
folge Regens das „Äußere“ sehr kurz – aber noch
lange nicht so kurz wie der Hans, der mit seiner viel
viel größeren Gruppe nicht in die Ostkapellen hinein
konnte. Sein Vortrag am Vormittag, zu dem er aus ei-
nem Wirbel von Geschäften, recht unpräpariert ging, war so gut wie noch nie – der
Chefarchitekt von London hat ihn eingeladen, ihn in London zu wiederholen
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Dann trafen wir Rapaport, der seine geschickten Tuschzeichnungen in d. Würth-
leauslage ausgestellt hat u. eine sogar schon verkauft hat. Er erzählte mir, daß „die
Wasserleiche“ am Sonntag in d. Arbeiterzeitung erschienen sei (sehr froh, wieder zu
Abb. 23 : Erica Tietze-Conrat, „Wasserleiche“ –
Durch den Selbstmord des jungen Barons am
Wasserfall in Bad Gastein kam Leben in die
verschlafene Kurgesellschaft …
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
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- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 458
- Kategorie
- Biographien