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Tagebuch 1923
Dann bei Erny, der mir von der gehirnerweichten Mutter erzählte, Frau v. Winter,
die in Rohatetz, endlich Frau Menczel, die etwas für den Laske tun will. Er soll fast
gar nichts verkaufen und so viel auf sich haben.105
22.X.23
Früh bei Hertha mit Ehrlich, der sich das Margare-
tel anschaute, ob er es portraitieren kann. Dann Ge-
spräch mit Hertha, die in anderen Umständen ist u.
im Dilemma, ob sie es dabei lassen soll oder etwas
dagegen tun. Finanzielle u. Wohnungsgründe spre-
chen gegen ein 3. Kind, dazu noch ihr Verkindeln,
das sie zu jeder andern Sache ; vor allem für d. Felix
lahmlegt. Ich riet ihr aus einem höhern Aberglauben
nichts gegen d. schon Empfangene zu tun, aber durch
berufliches Arbeiten das Verkindeln aufzuhalten
…
Dann Rendezvous mit Hans in d. Albertina, wo
wir die neuen Zeichnungen, die Meller anbietet,
sahen. Entzückendes Blatt Gefangennahme Louis
XVI, das (ohne Grund wohl) David heißt – groß-
artiger Rodin u. Toulouse-Lautrec, den wir als „ver-
kauft“ bei Gobin in Paris gesehen haben. Dieser
übrigens in Wien, ich hab ihn zu Ehrlich geführt –
er hat aber gemeiner Weise nur gelobt, nichts ge-
kauft.106
24.X.1923
Führung in d. Sezession ; ganz gute Ausstellung, aber weiß Gott nichts himmelstür-
mendes. Wundervoll ein Portrait von Makart, von Dora Gabillon. Romako zumeist
jenseits der Grenze zum Kitsch. Die Staatsgalerie hat wirklich die besten Bilder von
ihm u. muß dem Herrn Dr. Reichel keine mehr abkaufen.
–
Vroni kommt mit ihrer Semmel zu mir ins Bett. „Du, riech !“ Es riecht wie jede
warme Semmel. „Weißt du, sie war schon kalt, ich hab sie unter meinen Füßen ge-
wärmt !“
–
Am Naschmarkt einen Korb mit Obst füllen lassen, damit zu Kieslers mich bei der
Frau für die Abschrift des Tobias bedankt. Der Kleistpreis war schon verteilt, bevor
mein Manuskript dort war. Kiesler hat mir seine Theaterausstellungspläne entwickelt.
Hoffentlich kommt es dazu – denn er will dann den Tobias aufführen. Ich glaube an
nichts, nichts mehr. Ich hab ein paar Gedichte vorgelesen – mit ungeheurem Erfolg,
der mich wie immer ganz melancholisch machte.107
Abb. 26 : Hans Tietzes Bruder Felix mit Tochter
„Margaretl“.
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 458
- Kategorie
- Biographien