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Tagebuch 1923
weil das Stück später aus war, als wir gedacht hatten. Wir waren vergnügt miteinan-
der. Wenn ich mit ihm zusammen bin, spüre ich meine Depression weniger als sonst,
schon weil ich mich vor ihm zusammennehme. Zu allen seinen Aufregungen muß er
nicht auch noch meine Enttäuschungen dazu tragen.
7.XI.
Erst die längsten Grimmärchen vorgelesen, während Vroni saß. Dann Albertina.
Tante Anna, Hertha. Letztere weil gestern die Entscheidung fallen sollte, ob sie das
Kind, mit dem sie im ersten Stadium schwanger ist, behalten solle oder nicht. Mein
Felix hat’s durchgesetzt und sie ist sehr unglücklich, zeigt es ihm aber nicht. Bei Felix
erreicht mich Hans teleph[onisch], Sitze zu Fidelio, Wildbrunn. Ich nahm Hertha,
die am Tag vor dem Eingriff steht, mit. Es war der stärkste Genuß, der reinste und
erweiterndste, den man sich erträumen kann. Hertha war sehr glücklich u. ich auch
für sie. Vor allem aber für mich selbst. Nie mehr geh ich in diese Oper ohne d. Hans.
Ich war schon so froh, daß er mich abholte
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8.XI.
Gestern früh brachte ich Vroni hinein, ging dann zur Eröffnung der überaus reiz-
vollen Kolbeausstellung in den Theseustempel. Der „Ausschuß“ der Gesellsch[aft]
wurde photograph[iert], es waren wahnsinnig viel Bekannte da und noch mehr haben
wir, da wir um 12 weggingen, verfehlt. Unsre Zeichnungen, sagten uns alle Leute,
seien die schönsten. Ich hab natürlich nicht mehr gewußt, welche wir ausgewählt
hatten u. Hans auch nicht, so schwer war uns ja damals die Wahl gewesen. Merkel
will uns demnächst in seinem Atelier sehen, damit Hans unter dem Eindruck seiner
Bilder mit Merkels Hausfrau spreche
– ihr mit aller Energie auseinandersetzen solle
–
wer Merkel eigentlich sei, damit d. Mietprozeß, der über ihm schwebe, zurückgezo-
gen werde ! So einen Auftrag hat Hans wohl nie gehabt ! Um ½ 1 Albertina, wo ich
Herrn Halle seine für ihn gekauften Zeichnungen vorführte. Der Millet hat ihm vor
allem gefallen
– ist auch sehr schön
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Dann schnelles Essen bei Mama, Sitzung Vroni’s bei Ehrlich, wo uns Stoffel holte.
Er durfte d. Bild anschauen, ich noch nicht. Dann Nachmittag bei Alma, die wun-
dervoll in ihrem violetten Samtschlafrock* ausschaut. Sie trägt dazu ganz goldige
Haare
…
Erzählte mir viel von Křenek, der eine arisch-ärarische Bestie ist u. Anna vollkom-
men aussaugt – ausnützt. Las mir Werfels Brief über Křenek vor. Dann sprach ich
ganz vom Herzen weg u. Eindruck machend wegen des OK-Bildes, das sie verkaufen
will. Ich glaube, sie wird es jetzt doch nicht tun, event[uell] wenn Haberditzl es will,
so viel davon nachlassen, daß es als „Spende“ gelten kann. Sie muß halt ihr Geld so
* Morgenmantel
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 458
- Kategorie
- Biographien