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Tagebuch 1923
tober 1922 mit Vertretern der britischen, französischen, italienischen und tschechoslowa-
kischen Regierungen zur Stützung der österreichischen Finanzen das Genfer Protokoll
unterzeichnet. „The Geneva Protocol succeeded in restoring the state’s finances, but at
the same time led to mass redundancies among civil servants and to a rapid increase in
unemployment.“ (Botz 1980, 203.)
Die 1918 durch Vertreter des Wiener Bürgertums gegründete „Bürgerlich Demokra-
tische Partei“ (1923 : „Bürgerlich Demokratische Arbeitspartei“) richtete sich in ihrem
Programm zwar auch an die Arbeiterschaft, stand ideologisch aber nicht der Sozialdemo-
kratie nahe, sondern vertrat dezidiert wirtschaftsliberale Ziele ; bei den Wahlen vom 21.
Oktober 1923 erhielt sie nur 0,6 % der Stimmen, stärkste Partei wurden die Christlichso-
zialen unter Bundeskanzler Ignaz Seipel (Ergebnisse der Nationalratswahlen 1919–1930,
Wahlen.cc, Das Portal zu Politik und Wahlen). „Das auffallendste Ergebnis der Wahlen
vom 21. Oktober 1923 war der starke Stimmenverlust der Großdeutschen. […] In erster
Linie war dies darauf zurückzuführen, daß die den ‚Deutschnationalen‘ nahestehenden,
beziehungsweise sie bereits politisch ablösenden Nationalsozialisten ihre Anhänger zur
Wahlenthaltung aufgerufen hatten. Umso mehr sah Seipel im Ergebnis der Wahlen einen
persönlichen Auftrag, das Genfer Sanierungswerk zu Ende zu führen. Die sozialdemo-
kratische Partei, die in Wien ihre Position mächtig ausgebaut hatte, kündigte neuerlich
‚verschärfte und verstärkte Opposition‘ an.“ (Rennhofer 1978, 385 [Hervorhebungen im
Original].)
Architekt und Baurat Leopold Bauer verbreitete seine ambivalente, tendenziell jedoch
antimoderne Kunstauffassung unter anderem ebenfalls im Feuilleton der „Neuen Freien
Presse“.
104 Das Bildmotiv des von Phyllis gerittenen Philosophen Aristoteles, der so der Lächer-
lichkeit preisgegeben wird, geht auf eine mittelhochdeutsche Verserzählung zurück und
wurde von vielen Malern, u. a. von Kokoschka (1913), wiedergegeben. Diese Passage ver-
weist auf einen Topos der Wiener Moderne : Eros als Schlüssel zum Verständnis der Psy-
che.
Es handelt sich um das Gemälde von Carl Hofer, „Mädchen mit Blattpflanze“, 1923. Es
ging im Rahmen der Kooperation Flechtheim-Würthle an die Österreichische Galerie
Belvedere.
105 Zu Lili Fröhlich-Bum siehe TB 1923, 17.9.
Ernst „Erny“ Ebenstein war seit Studentenjahren eng mit HT und später auch mit ETC
befreundet. Er war Sohn des Herrenschneiders Ernst Ebenstein (1843–1919), dessen Ge-
schäftslokal auf dem vornehmen Wiener Graben von Loos entworfen worden war. Der
alte Ebenstein hatte sich von Kokoschka porträtieren lassen und sich als Sammler vor
allem von Werken des Kunstgewerbes und der Bildhauerei einen Namen gemacht. Sein
ältester Sohn Ernst hatte das Interesse an bildender Kunst geerbt und Kunstgeschichte
studiert, schließlich übernahm er jedoch das elterliche Schneidergeschäft (Frimmel 1913,
297).
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
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- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 458
- Kategorie
- Biographien