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Tagebuch 1924
3. Jänner 1924
Gestern hab ich einen guten Tag gehabt ; erst schnell das Stück zu Mamas Geburts-
tag fertig gemacht, dann einen Dialog, der das verlorene Verlorene Paradies heißen
sollte oder die Sehnsucht nach d. Apfel der Erkenntnis – geschrieben, muß es noch
ein wenig durcharbeiten. Dem Hans vorgelesen, den es interessierte. Abends erst bei
Mama der Baronin Oppenheim d. Wurstel* vorgemacht, dann Jüdin von Toledo mit
Moissi und Orska. Dieser war für mich der ganz starke Eindruck einer Persönlichkeit.
Vielleicht ohne den letzten göttlichen Funken der Intuition, ohne die letzte Naivität,
die auch in die Rolle gehört. Aber eigentlich doch eine große Leistung. Ehrlich hat
heute mein Bild zum Photographieren abgeholt und das Vronili gehängt. Draußen
schneit es, ich war mit Vroni spazieren.1
4. Jänner
Vroni zu Ilse in die Stadt gebracht, da sie das Köpfchen aus Plastilin nach ihr an-
gefangen hat. Dann Kurs in d. Albertina, Rembrandtradierungen. Frau Flechtheim
kennengelernt u. für Mittwoch eingeladen. Am Heimweg in der […], gotische Figu-
renausstellung, das rätselhafte Stück, Madonna mit Kind, das d. Museum angekauft
hat, angeschaut. 13. oder Mi[tte] 15. Jh.? Deutsch oder italienisch ? Beim letzten
Familienmahl sprechen wir von Vitaminen, mit denen mich Stoffel u. Hans immer
necken : „Am vitaminhältigsten ist Käse“, (sagt Stoffel). „Aber niemand weiß, was
Vitamin ist.“ Hans macht Spaß „Vielleicht sind d. Löcher d. Vitamin, wenn Käse am
vitaminhältigsten ist.“ Anderl lacht : „Mein Gott, wie vitaminhältig sind dann meine
Strümpfe !“
6. Jänner
Mamas Geburtstag. Gestern Kinder im Zirkus mit Heinz u. Therese, große Begeiste-
rung, sie erzählen immerfort davon. Ich war bei Ehrlich, der aber nichts besonderes
gearbeitet hat, d. h. gezeichnet – denn das angefangene Bild hab ich nicht gesehen.
Nach der Stunde bei Frapparts hab ich Hans im Amt geholt u. wir fuhren zusammen
heim. Alf war da, viel Spaß
…2
Heut vormittag in der Stadt gratulieren. Das von mir verfaßte Stück : „Wer sagt
den Spruch ?“ haben die Kinder mit großer Verve gespielt – nur Ivo am Schluß hat
versagt. Ungeheuer viele Leute als Gratulanten erschienen. Nach einer Stunde zogen
wir wieder heim.
8. Jänner
Gestern den ganzen Tag Szenarium gearbeitet. Abends Taussigs, recht anstrengend
und wenig amüsant. Heute Ausstellung Flechtheim. Frankl kennengelernt, viel über
* Hanswurst
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 458
- Kategorie
- Biographien