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Tagebuch 1924
sein Bild (Phantasie nach d. Wiener Rubenslandsch[aft]) gesprochen. Floch hat
seinen ersten Probedruck zur Palästinamappe gebracht. Hans erzählte mir unlängst
schon, daß Flechtheim auf ein Apperçu „die Wiener sind die Rheinländer des Os-
tens“ sehr stolz sei u. daß es im nächsten Querschnitt stehe. Ich lernte heut Eulen-
berg kennen, wieder ein Rheinländer. Als Flechtheim dazu kam ich : „Ei, eine ganze
rheinländ[ische] Kolonie.“ Prompt schnappt er mit seinem Apperçu ein. Ich darauf :
„Aha, sie drehen den Satz vom alten Kürnberger um : ‚Die Rheinländer sind die Wie-
ner des Westens.‘“ (Von mir glatt erfunden, natürlich.) Eulenberg sympathisch, groß,
deutscher Reiseanzug ganz mit Mann gefüllt, intelligenter heiterer Kopf, ganz am
Aug ein Monokel.
–3
Nachmittag bei Roden 300 Zeichnungen von Schatz gesehen u. mehrere Bil-
der, die alle einen ungeheuren Fleiß des Künstlers u. ein liebenswürdiges Einleben
des Käufers bedeuten. Auch andre Blätter. Viele leitete er ein : „Aber das werden sie
nicht erkennen, von wem das ist.“ Ich : ? ! ? „Von Larssen – nicht wahr, das haben sie
nicht geglaubt.“ Mein Gott, wie sollt ich auch ? ! Am Schluß hat er mir einen Band
Gedichte von sich, illustr[iert] von Zimpel geschenkt. Ach ja. Durchgefroren um 6
zuhause. Hans hat sich schon früher [von] einer Sitzung gedrückt. Zuhause Christ-
baum mit Bobys Hilfe abgeräumt. Von Ilse und Ivo, ebenso Heinz Abschied genom-
men. Ilse ganz entzückt von Vroni, von der sie d. Köpferl noch nicht fertig hat.4
9.I.
Garger war bei mir zu Besuch. Diese rein kunsthistorisch-theor[etische] Einstellung
ist mir sonderbar. Gegen Abend das Ehepaar F[ränkel] vom Pimperltheater*. Zwei
ganz verrückte Vögel, weiß Gott. Sie wollen à la Seipel einen Verein zur Fundierung
ihres Theaterchens gründen. Ich wies sie an die Kunststelle, sie sollen organisierte
[…] billigere Karten nehmen, und an d. Ortsschulrat, Hans hilft ihnen durch Emp-
fehlungen. Abends Bondy, Ehepaar Flechtheim, Kaschnitz – ermüdend, langweilig,
zähe Gans
– drei Orchydeen geschenkt bekommen.5
10.I.1924
Zufuß hinein, Urania, mit Direktor Jäger gesprochen ; ich werde verständigt werden,
wann der Klubsaal frei ist. Lampls haben abgesagt, dabei ein gläsernes Eulentier ge-
schickt. Er hat Influenza.
13.I.
Donnerstag abends hat sich Hans an Sauerkraut und Kletzenbrot** den Magen ver-
dorben u. hungert seither procul negotiis. Freitag Führung in der Sezession Neuer-
* kleines Theater
** dunkles Früchtebrot
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 458
- Kategorie
- Biographien