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Tagebuch 1924
ein junger Diener von der Akademie zog. Wenn’s aufwärts ging, schoben wir hinten
mit. Die ganze Habe z[um] T[eil] unter das schützende Sofa geschoben (das einzige
Möbel), z[um] T[eil] oben drauf, mit einem Zeltblatt verschnürt, wie eine armselige
„Leich“, den Kai hinauf zur Franzjosefsbahn
– Atelier von Floch, der ihm eines seiner
zwei Zimmer einräumte. Abends war Ehrlich bei uns u. brachte die Zeichnungen
von mir mit. Ich war ganz schwergesogen mit Traurigkeit
– und müde. Hans hat eine
Aufforderung von van Harpen bekommen, zusammen mit einer Probenummer, einen
Artikel über eine Wiener moderne Malerei für eine neue Kunstzeitschrift zu schrei-
ben. Ich hab es gestern und heute erledigt.15
31.I.
Gestern war ich nachmittags stadtwärts, Besuche machen. Auch bei Tante Anna. Der
Mann zittert fast so arg wie Samuel. Abends Kaschnitz, der mit uns bei Steiners
Fest (23.), Hagenbeckvorstellung, eine Gruppe bilden will. Ich schlug vor, er soll mit
Hans die siamesischen Zwillinge bilden und ich bin ihre Gemahlin, die sie dressiert
hat. Sie marschierten im Zimmer herum, nachdem wir ihnen die Beine zusammen
gebunden hatten. Hans war sehr verärgert und schläfrig (erste Hofintriguen, Lancko-
ronski gegen Tausch)
– hat aber trotzdem viel gelacht.
– Mein verblichener Zahnarzt
Schenk rief mich teleph[onisch] an, ob er nicht eine Karte von mir zu dem Urania
Vortrag haben könne, alles sei ausverkauft. Ich kann ihm nicht helfen.16
1.II.1924
Schon ganz (bei uns) verschuldet treten wir in den Februar ein ; als Begrüßung die
Telephon- und Religionrechnung, die zusammen etwa eine halbe Million ausmachen.
Wir kommen halt nie auf einen grünen Zweig und eine in Aussicht gestellte Gehalts-
erhöhung wird daran nichts ändern. Gestern habe ich am Nachmittag die Stunden
bei Halle u. Frappart gehalten. Mit Kiesler über Döblin gesprochen, der also doch
meine Dramen gelesen hat : Er habe sie als sehr interessante dramatische Leistung
begrüßt, möchte aber für seine Person die Einschränkung dazu setzen, daß ihm der
historische Hintergrund nicht zusage.
–17
Zwischen beiden Stunden war ich furchtbar erschöpft, beim Hans im Bureau.
Abends wieder frisch. Meinen Tobias hab ich durch die Kinder dem Ehrlich in die
Wohnung geschickt, ich weiß nicht, für wen er ihn haben wollte.
3.II.1924
Mama hat seit Donnerstag eine Entzündung im Anschluß an einen Gallensteinanfall.
Kobler hat sich in Verbindung mit uns gesetzt u. auch Felix, der sie untersucht hat.
Anscheinend eine „gutartige“, d. h. nicht eitrige Entzündung, nur auf die mechani-
sche Erregung infolge des letzten Steinchens zurückzuführen. Kiesler war gestern
vormittag da, um das spezialisierte Programm, das der Stadt mitgeteilt werden soll,
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
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- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 458
- Kategorie
- Biographien