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Tagebuch 1924
24.II.
Gestern war d. Ball bei Steiners. Mit nur bisserl gutem Willen haben wir uns sehr
gut unterhalten. Unsere Gruppe war, glaub ich, sehr gelungen. Der kurze Kasimir
und der lange Luigi, das siamesische „Doppelwadler“zwillingspaar, sah großartig aus
u. jeder spielte witzig u. humorvoll seine Rolle. Am Schluß wurde die Operation von
Zaloziewsky vollzogen (Clown), dem d. dumme August assistierte. Sie wurden in
Narkose (mittels Autopumpe) versetzt und mittels einer Handsäge auseinandergesägt.
Kaschnitz krähte plötzlich wie ein neugeborenes Kind u. Hans fragte traumverloren :
„Luigi, wo bist du ?“ Ich sah aus wie die Sünde – aber meine Rolle lag mir wenig.
Das Arrangement mit den Hagenbeckplakaten war wundervoll dekorativ, sonst alles
schiffsmäßig mit breiten roten Krêpepapierstreifen behangen. Die ganze Laskegesell-
schaft als Bauern von Eibesbrunn, die ein böhmischer Fremdenführer (Brechtl) führt.
Sehr hübsche Pierrots, sehr lustig der drahtlose Tanz der einen Hagenbecktochter
(Mariedl) u. das Schulreiten (zu Fuß) der andern (Evchen). Immer Aug in Aug mit
dem Vater (Steiner – Hagenbeck), der sie zu jeder Kraftleistung aufmunterte u. un-
terstützte. Um ¾ 1 wollte ich nachhause fahren, um 3 ist es dazu gekommen. Paar
Stunden gut geschlafen, nicht sehr frisch, aber es geht immerhin.37
26.II.
Gestern war ich den ganzen Tag im Bett, fuhr erst abends zur Stunde und zu den
„russischen Dichtungen“ hinein. Die meisten haben mir wenig gefallen. Erstens ha-
ben die Herren Rodenberg u. Nowotny zu sehr gebrüllt u. den Plakatcharakter da-
durch noch mehr betont. Dann war das Programm viel zu lang, wir sind nach 2 ½
Stunden fortgegangen u. es war noch immer nicht aus ! Von Ehrlich ist gestern ein
Brief gekommen, er scheint im Anfang viel Zeit verloren zu haben, jetzt aber gut zu
arbeiten, ich glaub nicht, daß er so bald zurück kommen wird. Meine Gedichte hat
er seinem Verleger (Rathenau) gegeben – aber es wird ja wieder nichts sein. Ich hab
jede Hoffnung aufgegeben. Hans hat seinen musealen Aufsatz für Westheims Wiener
Nummer geschrieben u. gestern nach den Russen noch die Einleitung zum Nolde-
katalog beendet.38
28.II.
Gestern vormittag den Artikel „Neue Donnerstatuetten im Barockmuseum“ fürs Bel-
vedere geschrieben. Nachmittag bei Floch, der mir Lithos zeigte u. das, weswegen er
mich hatte sprechen wollen, nicht sagte. Er ist inzwischen selbst mit der Sache fertig
geworden. Wer weiß, welche Unannehmlichkeiten er hatte
…39
Dann (mit Floch) ins Akademietheater, Strindberg, Gespenstersonate. Der erste
Akt ungeheuer packend mit unermeßlichen Phantasiemöglichkeiten. Der zweite fällt
ganz ab u. der dritte ist fast hilflos. So viel Unwahrscheinlichkeit mit Naturalismus
verbunden ist schon undramatisch. Zuhause gleich eingeschlafen, vom Hans um 1h
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
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- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 458
- Kategorie
- Biographien